Roulette der Liebe
hinuntergeblickt, selbst wenn ihr jemand einen Revolverlauf an die Schläfe gedrückt hätte. Tatsächlich hätte sie vielleicht sogar eine Schußverletzung in Kauf genommen, wenn es bedeutet hätte, niemals wieder einen Mustang auf einem engen Pfad in schwindelnder Höhe über dem Abgrund eines Canyons entlangführen zu müssen.
»Bist du sicher, daß alles mit dir in Ordnung ist?« fragte Reno.
Eve gab keine Antwort. Zum Sprechen hatte sie keine Kraft mehr. Sie war ganz damit beschäftigt, auf ihre Füße zu starren und sich mit größter Anstrengung dazu zu zwingen, nicht ins Stolpern zu geraten.
Sie war sicher, das Bild des groben Sandsteins unter ihren Füßen würde sie noch lange Jahre in ihren Alpträumen verfolgen. Kieselsteine von der Größe und Form von Murmeln lagen überall auf dem schmalen Felsvorsprung, jederzeit bereit, einen unachtsamen Fuß ins Stolpern und Rutschen kommen zu lassen.
Den Mustangs bereitete der widrige Pfad kaum Schwierigkeiten. Sie hatten ja auch vier Füße. Wenn einer abrutschte, blieben immer noch drei andere. Eve hatte nichts außer ihren Händen, die schon aufgeschürft waren vom letzten Mal, als sie gefallen war.
»Siehst du den weißen Felsen da vorn?« fragte Reno ermutigend. »Es bedeutet, daß wir uns dem Rand des Plateaus nähern.«
»Halleluja«, flüsterte Eve.
Die Graubraune schnaubte und riß mit einem Ruck den Kopf hoch, um eine Fliege abzuschütteln.
Eve hatte Mühe, einen Schrei zu unterdrücken, als die Zügel an ihrer Hand zerrten und ihre Balance bedrohten.
»Ist ja schon gut«, sagte Reno mit tiefer, ruhiger Stimme.
Den Teufel ist es! dachte Eve, aber sie war zu sehr außer Atem, um Reno laut zu widersprechen.
»War ja nur eine Fliege, die deine Graubraune belästigt hat«, fügte er hinzu. »Wirf ihr die Zügel um den Hals. Sie wird dir auch ohne Führung folgen.«
Als Antwort bekam er nur ein kurzes Nicken.
Während Eve der Stute die zusammengebundenen Zügel über den Kopf schob, zitterten ihre Arme so stark, daß sie die Zügel beinahe fallen gelassen hätte.
Reno ballte die Hände zu Fäusten. Unbarmherzig zwang er sich, einen Finger nach dem anderen wieder zu entspannen. Wenn er Eve den Weg hätte ersparen können, hätte er es getan. Aber er konnte es nicht.
Mißmutig machte Reno sich weiter an den Aufstieg. Äonen von Regen und Wind hatten den Felsen rundgeschliffen und fast senkrecht abfallende Kanäle hineingegraben. Je höher Reno kletterte, desto tiefer und steiler wurden die vielen Risse, die in die blasse, glatte Oberfläche des Gesteins einschnitten. Manchmal mußte Reno wieder ein Stück zurück und einen anderen Weg suchen, um einen besonders breiten Graben zu umgehen.
Er stieg höher und erkletterte eine weitere von Wind und Wetter blank geschliffene Felsenterrasse. Darling folgte ihm dicht auf den Fersen, so trittsicher wie eine Katze. Die anderen Mustangs waren ebenso flink und geschickt. Reno ging mit eiligen Schritten vorwärts, bestrebt, dem nächsten Hindernis zu begegnen und es zu überwinden.
Reno bemerkte nicht, daß Eve ihr Pferd bei der ersten Wegverbreiterung vorausgeschickt hatte. Er war ausschließlich darauf konzentriert, die nächste Stufe zu erklimmen und dann die nächste. Erst wenn er die letzte blaßgefärbte Steinterrasse erklommen hätte und ein Felsplateau vor sich liegen sähe, würde er wissen, daß sie sich nicht mühsam den ganzen Weg hinaufgekämpft hatten, nur um in einer Sackgasse am Fuß einer Steilklippe zu landen. Er brannte darauf, es herauszufinden, denn er wollte sich nicht bei einbrechender Dunkelheit in den Canyon zurücktasten müssen.
Eve heftete ihren Blick unverwandt auf die schwachen Abdrücke, die die Pferdehufe auf dem Gestein hinterlassen hatten. Jedesmal, wenn sie einen der zahllosen Furchen erreichte, die im Zickzack durch die massive weiße Felsschicht liefen, nahm sie ihren ganzen Mut zusammen. Sie trat mit einem großen Schritt über den Riß hinweg und ignorierte den schwarzen Abgrund unter ihren Füßen.
Sie schaute nicht mehr nach rechts oder links oder nach vorn. Sich umzudrehen, wagte sie nicht mehr. Immer, wenn sie zurückblickte, lief ihr ein Schauer über den Rücken beim Anblick der unzähligen Granitstufen, die steil in die Tiefe abfielen und weit unten in einem blauen Dunstschleier endeten. Eve konnte nicht glauben, daß sie bereits so hoch hinaufgeklettert war. Sie konnte nicht glauben, daß es immer noch höher gehen sollte.
Schwer atmend blieb sie stehen, um
Weitere Kostenlose Bücher