Roulette des Herzens
heute Morgen eine Nachricht geschickt, in der er mir mitteilte, du seist verletzt. Da ich weiß, dass er immer untertreibt, war ich vor Sorge um dich außer mir. Du hättest nur einen Kratzer oder eine fatale Wunde oder alles, was dazwischen liegt, haben können. Ich musste mich überzeugen. Oh, dein armes Gesicht!« Ihre Miene verhärtete sich, und einen Moment lang wurde ihre außergewöhnliche Schönheit durch einen wütenden Ausdruck entstellt. »Wer hat dir das angetan?«
Derek schüttelte ihre Hand ab, die sie ihm auf den Arm gelegt hatte. »Alles spricht für Lady Ashby.«
»Lady Joyce Ashby?« Lilys samtbraune Augen weiteten sich. Impulsiv äußerte sie »In Gottes Namen, warum?
Erzähl mir bloß nicht, Derek, dass du eine Affäre mit ihr hattest! Sag mir, dass du nicht so bist wie all die anderen armen Verblendeten und nicht wie sie so von Joyces falschem Blondhaar und ihrem Schmollen und Brüstewackeln bezaubert warst, dass du ihr in die gierigen Krallen gefallen bist. Nein, sag nichts! Ich sehe, dass du doch zu einem ihrer willigen Opfer geworden bist.« Finster sah Lily Derek an und sagte dann ätzend: »Es steht dir ins Gesicht geschrieben.«
Der einzige Grund, weshalb sie es wagte, so unverschämt mit Derek zu reden, war ihrer beider enge, anhaltende Freundschaft. Dennoch war sie gefährlich nah an die Grenze geraten. Er schleuderte das Kissen nach ihr, fast so, wie ein streitsüchtiger Bruder das getan hätte. »Verschwinde, du kaltherziges Luder!«
Sie war dem Kissen ausgewichen. »Wie konntest du mit Joyce eine Affäre haben, obwohl du weißt, dass ich sie so verachte?«
Er verzog den Mund zu einem höhnischen Lächeln. »Du bist eifersüchtig.«
Sie seufzte übertrieben. »Du weißt genau, dass wir weit darüber hinaus sind. Ich verehre meinen Mann. Ich gehöre ihm voll und ganz. Er ist so gut wie dein einziger Freund. Meine beiden Kinder nennen dich Onkel.«
»Alles sehr herzig«, warf Derek verächtlich ein.
»Zwischen uns beiden war nie etwas. Als ich mich vor vielen Jahren hilfesuchend an dich wandte, hast du mich Alex in die Arme gedrückt, und dafür bin ich dir zutiefst dankbar.«
»Das solltest du sein«, sagte Derek.
Plötzlich löste sich die bestehende Spannung, und er grinste ebenso wie Lily. »Was Frauen angeht, ist dein Geschmack abscheulich!« sagte sie leise, hob das heruntergefallene Kissen auf und legte es Derek unter den Kopf.
Er lehnte sich zurück und betrachtete sie mit leicht verengten Augen. »Deine Art, jemanden zu pflegen, kann tödlich sein.« Zaghaft berührte er die vernähte Wunde, in der er ein Ziehen verspürte. Wenngleich er wusste, dass Lily recht hatte, gab er das nicht laut zu. Sie war die einzige anständige Frau, mit der er je Umgang gepflegt hatte.
Er hatte sie auf seine Art geliebt, aber nicht genug, um das Risiko einzugehen, von dem er wusste, dass er es nie auf sich nehmen würde. Er eignete sich nicht zum Gatten oder Vater. Das Wort ›Familie‹ war für ihn nur ein vager Begriff. Ausdauer, Verantwortungsgefühl, Hingabe, waren die Eigenschaften, die Lily brauchte. Sie waren jedoch nie Teil seiner Welt gewesen. Alles, worauf er sich verlassen konnte waren die materiellen Güter, die er in überwältigenden Mengen aufgehäuft hatte. Falls man mittels Geld einen Platz im Himmel bekam, hätte er den gesamten Ewigkeitsmarkt aufgekauft, Eindringlich, mit verschlossener Miene, betrachtete er Lily. Ihre dunklen Locken waren zu einem kunstvollen Knoten geschlungen. Ihre schlanke Gestalt wurde durch ein elegantes Kleid betont. Man hätte nicht ahnen können, dass sie früher eine Ausgestoßene gewesen war, so wie er selbst noch heute ein Außenseiter war. Dieser Umstand war das Bindeglied zwischen ihnen und die Grundlage für gemeinsame Geheimnisse und Erinnerungen.
Seit der Hochzeit war Lily allmählich in die privilegierte Gesellschaft hineingewachsen, an deren Rand Derek sich bewegte. Aristokraten waren selten geneigt, ihn auf ihre Besitzungen einzuladen, aber ihre blaublütigen Frauen mehr als eifrig darauf bedacht, ihn in ihr Bett zu bekommen. Für ihn war das eine angenehme Form der Rache, erst recht, weil sein Benehmen Lily zur Verzweiflung trieb.
»Erzähl mir, was mit Joyce passiert ist«, sagte sie drängend.
»Ich habe vor einer Woche mit ihr gebrochen.« Er lächelte grimmig, als er an Joyces ungeheuren Wutausbruch dachte. »Sie hat es nicht gut aufgenommen. Ich vermute, dass sie die beiden Schlitzer angeheuert hat, um mit mir
Weitere Kostenlose Bücher