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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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ob das etwas Tiefergehendes war. Jedenfalls war ihr Körper verflixt da, ganz so, als hinge er wie Pulver in der Luft. Ich hatte den Eindruck, sie schämte sich dessen beinahe. War es eine natürliche Feuchtigkeit, die ihrer Haut diesen so feurigen Glanz verlieh, oder sah ich Gespenster?
    Für eine Weile übte sie sich in einem konfusen Gespräch, dabei wechselte sie mehrmals mit einem Anflug von Nervosität die Haltung, um zum Schluß erneut zu klagen, daß man hier keine Luft bekam, daß nicht das geringste Lüftchen zu spüren war. Sie entblößte vollständig ihre Beine und musterte mich mit einer Miene, als wollte sie sagen, sie könne nicht anders. Beim besten Willen nicht, und ich müsse mich damit abfinden. Das bereitete mir ehrlich gesagt keine großen Probleme. Auch nicht, daß sie sich weiter auf ihrer Decke wand, um die ideale Lage zu finden. Ich mochte sie noch so gut kennen, das war eine Sache, von der bekam ich nie genug. Schon als kleiner Junge liebte ich es, ihnen zuzusehen, wenn sie sich bewegten, sie faszinierten mich, wenn sie nur einen Arm rührten, ihr Körper war das tiefste aller Geheimnisse, von Beginn an war ich einer ihrer glühendsten Bewunderer. Hatte ich nicht einer kleinen Nachbarin, damit sie ihre Röcke vor mir hob, mein einziges Exemplar von Moby Dick überreicht, ohne das geringste Bedauern, außer vielleicht, daß sich ihre große Schwester nicht auf den Handel eingelassen hatte?
    Plötzlich seufzte sie auf, preßte die Knie in ihre Arme und fing an, sich auf die Lippen zu beißen:
    - Weißt du, ich hab bei ihm eine Art Gleichgewicht gefunden …
    - Puh, ich glaube, das weißt du selbst am besten …
    - Nein, beim besten Willen, du verstehst mich nicht …
    - Jaja … Ich geb zu, das will mir nicht in den Kopf. Aber das ist auch nicht mehr so wichtig.
    - Dan, ich bin mein ganzes Leben nur gerannt … Ich brauchte ein wenig Ruhe, das konnte nicht mehr so weitergehn …
    - Mmm, schon richtig.
    - Du verstehst nichts, nicht wahr …? Dir ist ganz egal, was ich dir erzähle …!
    Ich konnte nicht umhin, an der Pikanterie der Situation zu schnuppern: Träumte ich oder bekam ich gerade wirklich eins auf den Deckel …?!
    - Sag mal, Sarah … Man könnte meinen, auf einmal interessiert dich, was ich denke …
    - Nein. Ich weiß, was du denkst …!
    Sie wandte den Kopf ab. Beugte sich zur Seite und holte ein Fläschchen aus ihrer Tasche. Ich wußte, was das war, Öl aus Aprikosenkernen, ich kannte das alles nur zu gut. Eines Abends, als sie sich ein wenig hatte gehenlassen, war es mir vergönnt gewesen, sie damit einzureihen. Es hatte mich überwältigt. Doch was gut war für ihre Haut, hatte meinen Nerven erheblich geschadet. Jetzt, mit ein wenig Abstand, erschien es mir, als sei ich all die Zeit halb verrückt gewesen. Inzwischen war mir klar, wie groß meine Angst gewesen sein mußte, sie zu verlieren. Wie sonst hätte ich all diese Geschichten ertragen? Gab es noch jemand, der so erbärmlich gewesen wäre wie ich, jemand, der sich mit all diesen Notlösungen beschieden hätte, während sie die Typen reihenweise vernaschte …?! Jemand, der ihren scheußlichen Bettgeschichten ebenso verständnisvoll Gehör geschenkt hätte …?! Plötzlich konnte ich das volle Leid ermessen, das mir Franck angetan hatte, als sie mich verließ. Der Schmerz, nicht mehr schreiben zu können – und ich war weiß Gott nicht daran gestorben! –, hatte mich derart verblendet, daß ich die eigentliche Katastrophe nicht erkannt hatte.
    Sie schien nicht mehr auf mich zu achten und ölte sich sorgfältig Arme und Beine ein, während in mir alles hell wurde. Ich schaute sie an, ohne sie zu sehen, bedrückt erkannte ich den Umfang des Schadens. Ich hatte also Angst gehabt, ein zweites Mal verlassen zu werden …?! So große Angst, daß ich mir selbst etwas vorgemacht und alles mögliche von Sarah hingenommen hatte …??!! Das war ein ganzes neues Licht auf die letzten zehn Jahre meines Lebens. Das konnte man unterschiedlich aufnehmen. Einige Verse von Ezra Pound kamen mir in den Sinn: Was du geliebt hast, wird bleiben – der Rest ist nur Asche – Was du geliebt hast, wird nicht entfliegen – Was du geliebt hast, ist dein ganzer Besitz … (Pisaner Cantos)
    -Dan …?
    -Mmm …?
    - Fühlst du dich wohl …?
    - Warum? Sehe ich krank aus?
    - Redest du jetzt mit dir selbst …?
    - Oh …. achte nicht darauf … Ich hab beschlossen, mir jeden Abend ein paar Verse aufzusagen. Ich finde, das ist gut für den Teint.
    -

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