Rückkehr nach Wedenbruck
eines Tages würde der Augenblick kommen, und Bille wusste, es würde eine aufregende Sache sein, unter den vielen vierbeinigen Partnern den richtigen auszuwählen.
Beim täglichen Training hob Bille sich Sindbad jedes Mal bis zum Schluss auf. Dieser schöne Fuchs, den sie als Fohlen großgezogen hatte, für den sie Kindermädchen und Mutterersatz gewesen war und dessen Lebensweg sie all die Jahre beobachtet hatte, war ihr mehr als alle anderen Pferde aus Hans Tiedjens Stall ans Herz gewachsen. Mit ihm verband sie eine fast magische Übereinstimmung.
Als sie jetzt mit ihm in die Halle ritt und der temperamentvolle Wallach lebhaft ausschritt, in seiner Aufmerksamkeit ganz ihr zugewandt, wusste sie plötzlich, dass es nur ein Pferd gab, das sie sich zu besitzen wünschte: Sindbad . Natürlich war der Gedanke, ihn jemals kaufen zu können, absurd. Nie würde sie die Summe, die bei seiner außerordentlichen Begabung vermutlich in schwindelnder Höhe lag, aufbringen können. Sindbad sollte, wenn er die ersten Turniersiege errungen hatte, zu einem sehr guten Preis verkauft werden. Daddy brauchte das Geld, der Betrieb lebte davon, dass für die besten Nachwuchspferde ein zahlungskräftiger Interessent gefunden wurde. Trotzdem blieb Sindbad Billes heimliches Traumpferd.
Vielleicht sollte ich Lotto spielen, überlegte sie. Dann hätte ich immerhin eine klitzekleine Chance, den Kaufpreis zu gewinnen.
Tom und Simon hatten in der Halle einen Parcours aufgebaut. Sindbad setzte mit einer Leichtigkeit und Präzision über die Hindernisse, von der andere nur träumen konnten. Dabei erledigte er die Aufgabe so beiläufig, wie ein Spaziergänger einen im Wege liegenden Kieselstein zur Seite kickt.
„Ist mein Baby nicht fantastisch?“, rief Bille den Freunden zu und parierte den Fuchs zum Schritt durch. Dankbar klopfte sie ihm den Hals. „Feiner Kerl! Du bist echt große Klasse.“ Sie hielt neben Simon an und seufzte tief. „Es wär mein größter Traum, Sindbad behalten zu dürfen. Aber ich weiß ja, dass das unmöglich ist.“
„Ah ... ja!“ Simon sah sie groß an, dann wandte er sich hastig ab. Bille bemerkte sein lebhaftes Mienenspiel nicht, sie hörte nur seine Worte, die auch ihre letzte verborgene Hoffnung zunichte machten. „Er ist schon so gut wie verkauft. Da hast du keine Chance.“
„Schon verkauft?“ Bille schluckte. „Davon hat Daddy mir gar nichts gesagt!“
„Komisch, mir auch nicht!“, rief Tom herüber.
„Die Verhandlung war ja auch gerade erst.“ Simon sprang aus dem Sattel und löste den Sattelgurt. „Wahrscheinlich hat er noch nichts gesagt, um Bille nicht traurig zu machen. Vorerst bleibt Sindbad sowieso zur weiteren Ausbildung hier, der neue Besitzer hält sich noch für einige Zeit im Ausland auf, hab ich gehört.“ Simon steuerte mit seinem Pferd eilig zur Tür hinüber.
„Du machst schon Schluss ?“, rief Bille erstaunt.
„Ja, ich ... ich muss dringend mal wohin, ich hab plötzlich, hm, so blöde Kopfschmerzen. Ich werde eine Aspirin nehmen.“
„Aha. Der gute französische Rotwein von gestern Abend, den du so gelobt hast!“, lästerte Tom.
Aber Simon achtete nicht auf ihn.
Bille dachte nicht weiter über Simons hastigen Abgang nach. Ihre Gedanken kreisten um den neuen Besitzer ihres Lieblings. Wieso wollte Daddy das vor ihr geheim halten? Einmal musste sie es ja doch erfahren, und jeder Tag, den sie mit dem Fuchswallach arbeitete, band sie enger an dieses Pferd. Ob sie Simon bitten sollte, die weitere Ausbildung von Sindbad zu übernehmen, damit sie besser mit der Trennung fertig wurde? Aber Simon musste in zwei Wochen nach Berlin zurück. Blieb nur Hannes, doch der war kein Springreiter. Und wenn sie ehrlich war, wollte sie Sindbad auch gar nicht aus der Hand geben. Jeden einzelnen Tag mit ihm wollte sie noch genießen, bis er den Hof verließ. Dass Daddy Tiedjen die Käufer seiner Pferde sehr genau unter die Lupe nahm und einen Interessenten, der ihm beim Probereiten missfiel , geschickt vom Kaufvorhaben abbrachte, wusste sie. Nie würde er zulassen, dass eines seiner „Kinder“ in falsche Hände geriet. Was das betraf, konnte sie beruhigt sein.
Verflixt, warum stelle ich mich überhaupt so an, beschimpfte Bille sich. Schließlich bin ich kein Teenager mehr, sondern Profi. Und es gibt genug andere unter unserem Nachwuchs, die meine Zuwendung dringend brauchen. Jacky Boy zum Beispiel. Und Raissa , die mehr Liebe und Einfühlungsvermögen verlangt, als jedes andere Pferd
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