Rügensommer
ich dich bitte, noch mit zu mir zu kommen, sagst du heute Abend nein. Habe ich recht?« Sein Flüstern klang rau und atemlos.
»Nicht ganz«, antwortete sie leise. »Ich sage: Leider nein.«
Ein kaum hörbares Lachen, ein Kuss auf ihre Nasenspitze. »Gute Nacht.« Er verschwand in der Finsternis.
11.
»Mach’s gut, Schwesterchen, pass auf dich auf!« Natty sah sie liebevoll an.
»Aber klar! Du auch, hörst du? Es war so schön, dass du hier warst. Komm bald wieder, ja?«
»Das mache ich, versprochen.« Sie drückten sich fest. Deike war ganz mulmig zumute. Sie wollte Natty nicht gehen lassen.
Die zwinkerte mit einem Mal verschwörerisch. »Du musst mir auch etwas versprechen.«
»Das wäre?«
»Schnapp ihn dir!«
»Was? Wen?«
»Na, Hannes, wen denn sonst?«
Deike spürte, wie sie rot wurde. »Bitte? Du hast doch die ganze Zeit mit ihm geflirtet. Und er mit dir. Was soll ich denn …?«
»Quatsch, wir haben uns nur gut verstanden. Aber angeschmachtet hat er dich.«
»Blödsinn!« Ihr Herz machte einen Hüpfer. Andererseits wusste Natty nicht, was sie wusste. Wenn er sie gestern auch leidenschaftlich geküsst hatte – allein die Erinnerung verschaffte ihr schon wieder weiche Knie –, gab es da noch immer eine andere. Sie musste auf dem Teppich bleiben. Als sie bemerkte, dass ihre Schwester sie schmunzelnd beobachtete, sagte sie: »Er ist überhaupt erst in dem Moment so charmant und umgänglich geworden, in dem du aufgetaucht bist. Das sagt ja wohl alles.«
»Könnte das daran liegen, dass ich mit ihm nicht über Stellplätze und Rasenmähen gestritten habe? Nein, nein, kein Zweifel, bei dem Maibowlen-Fest hat er sehr eng und ausschließlichmit dir getanzt. Und glaube bloß nicht, dass ich das gestern nicht mitgekriegt habe!«
Deike glühte. Natty hatte sie also doch im Garten gesehen? »Wieso, was denn?«
»Auf der Seebrücke … seine Hand auf deinem Rücken …« Natty begann belustigt eine kleine Melodie zu pfeifen.
»Ach, das hatte doch nichts zu bedeuten.« Deike sah auf ihre Füße und lächelte ertappt.
»Es ist nicht zu übersehen, dass er dich mag. Als du mit diesem Silvio geflirtet hast, hat er quasi durch mich hindurchgesehen, um euch nur ja nicht aus den Augen zu lassen.«
Der Zug hielt quietschend am Gleis. Sie umarmten sich noch einmal.
»Ich wiederhole: Ran an den Kerl, Schwesterchen!«
»Mal sehen, was sich machen lässt. Und du kümmerst dich um die Stelle in Wiek, abgemacht?«
»Abgemacht!« Natty schlug ein. Dann musste sie sich beeilen, in den Zug zu kommen.
Trotz des deutlichen Schlafdefizits war Deike die Arbeit an diesem Tag leicht von der Hand gegangen. Sie strotzte geradezu vor Energie, hatte einige wirklich gute Ideen und erledigte den Routinekram, der ihr sonst mächtig auf die Nerven ging, mit links. Das bevorstehende Wochenende hob ihre Laune zusätzlich. Ebenso wie die Aussicht auf interessante Termine, die in der nächsten Woche auf sie warten würden. Die Eröffnung eines Yoga-Studios gehörte nicht gerade zu den Höhepunkten, könnte aber ganz lustig werden. Deutlich attraktiver war eine Einladung ins Theater. Sie durfte jemanden mitbringen! Natürlich würde sie Hannes fragen, ob er Lust hatte, sie zu begleiten. Sie hatte ein Kribbeln im Bauch bei diesem Gedanken.Wie es wohl sein würde zwischen ihnen, jetzt, da Natty nicht mehr da war? Es gab keinen Grund mehr, nicht über Nacht bei ihm zu bleiben … Doch, es gab einen Grund, einen sehr dünnen, blassen, bedeutenden Grund.
Sie fuhr auf den Parkplatz und ließ ihren Wagen mittig stehen, wie sie es in den letzten Tagen häufig getan hatte. Das ersparte ihr mehrfaches Rangieren. Ihre Tasche über dem Arm hüpfte sie die Stufen vor dem Haus hinauf.
Frau Duschel machte gerade ihre Runde mit dem Hund, der mal wieder genau vor dem Grundstück nach einer Toilette suchte. Und Herr Duschel ließ laut und vernehmlich die Säge kreisen. Ob die beiden wohl noch alt genug wurden, um die Holzmengen zu verbrennen, die er zu ofengerechten Stücken schnitt? Deike lächelte vor sich hin. Es war ihr egal. Weder der Hund noch der markerschütternde Lärm konnten sie aufregen.
»Hallo, Frollein. Wollen Sie nachher rüberkommen und meinen Rompott probeere?«
»Nein, danke«, rief Deike fröhlich und ließ die Duschel einfach stehen.
Radio und Fernsehen blieben ausgeschaltet. Deike durfte auf keinen Fall verpassen, wenn sich drüben etwas rührte. Und dann? Sollte sie bei Hannes klingeln? Nein, wies sie sich
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