Rügensommer
zurecht, er hat eine Freundin. Wenn er die betrügen wollte, sollte er gefälligst selbst den ersten Schritt machen. Sie schmierte sich eine Scheibe Brot und lief damit immer wieder zum Fenster.
Da war er! Mit seinem Rennrad bog er um die Ecke. Der Wind ließ sein Hemd flattern. Ihr fiel ein, dass er sich meistens auf die Terrasse setzte, wenn er eine längere Tour mit dem Rad hinter sich hatte. Das war die Gelegenheit! Sie lief zu ihrer Terrassentür, hörte ihn am Schuppen hantieren. Er stelltesein Fahrrad unter. Dann hörte sie, wie er sich einen Stuhl zurechtschob. Sie brauchte einen Grund, um auch hinauszugehen. Hätte sie am Morgen schon eine Maschine Wäsche angeschmissen, könnte sie die Sachen jetzt aufhängen, aber so? Klar, das war die Idee. Sie lief ins Bad, schnappte sich Nattys Handtuch und den Bezug ihres Kopfkissens, hielt beides unter den Wasserhahn und wrang die Sachen kräftig aus.
Auf dem Weg zurück zur Terrassentür sagte sie laut vor sich hin: »So, das kann schon mal auf die Leine!« Sie trat ins Freie, der Stoff in ihrer Hand tropfte ihr auf die Füße. »Oh, hallo!« Den überraschten Ausdruck in ihrer Stimme, als sie Hannes entdeckte, hatte sie erstklassig hinbekommen.
»Hallo.« Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn, die Wangen waren gerötet. »Wo ist denn Natty?«
Deike warf das Handtuch über die Leine und sah auf ihre Uhr. »Inzwischen dürfte sie zu Hause sein, nehme ich an.«
»Ach ja, sie ist ja abgereist.« Die Leichtigkeit vom Vorabend war ihm offenbar abhandengekommen, er wirkte bedrückt und ein bisschen durcheinander. Ob er wieder in der Klinik gewesen war? »Es ist bestimmt ungewohnt für dich, jetzt wieder allein im Haus zu sein.«
»Ja, stimmt.« Wie einfühlsam! Er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Deike vermisste ihre Schwester jetzt schon und wartete auf ihren Anruf. Unentschlossen stand sie vor ihm, hinter ihr tropfte die ungewaschene Wäsche.
Er stand auf. »Ich muss duschen«, sagte er. Ob er erwartet hatte, dass sie ihn gegen die Einsamkeit einlud? War das ein Wink mit dem Zaunpfahl gewesen?
»Hast du Lust, nachher etwas mit mir zu trinken?« Sie sah ihn überrascht an, mit einer Aufforderung seinerseits hatte sie nicht gerechnet.
»Gerne! Wann?«
»Komm doch einfach auf die Terrasse, wenn du soweit bist.« Ein knappes Lächeln, weg war er.
Glücklicherweise rief Natty an, die Meldung über ihre sichere Ankunft zu Hause machte. Sonst wäre Deike womöglich gleich draußen geblieben, weil sie die Zeit mit ihm nicht abwarten konnte. Sie plauderten, als hätten sie sich wochenlang nicht gesehen. Von dem Kuss und der Verabredung für den Abend sagte sie nichts, obwohl ihre Schwester mit Anspielungen nicht sparte.
Als sie schließlich aufgelegt hatte, zupfte sie noch schnell ihre Haare zurecht und ging dann hinaus. Hannes trat auch gerade auf die Terrasse. Ob er dieses Mal gelauscht hatte, um sie abzupassen?
»Was hältst du von einem Merlot?«
»Gerne. Ich hole uns ein paar Nüsse.« Beide verschwanden wieder in ihren Wohnungen. Deike schüttete die Nüsse in eine kleine Keramikschale und kam wieder ins Freie, als er gerade Gläser und Flasche auf ihrem Gartentischchen abstellte. Sie setzten sich, die Stühle jeweils auf einer Seite des Tisches.
»Natty hat schon angerufen. Ich soll dir Grüße bestellen.«
»Dankeschön. Die Ärmste!«
»Wieso?«
»Na, sie ist jetzt wieder in Bayern.« Er zog eine Augenbraue hoch. »Zum Wohl.«
»Zum Wohl.« Sie stießen an, die Gläser klingelten hell.
»Gott sei Dank, der Duschel hat mit dem Sägen aufgehört«, stellte Deike fest.
»Der Mann ist die Pest. Du glaubst nicht, wie oft ich ihn schon gebeten habe, diesen Krach einzustellen. Vor allem, wenn …« Er brach mitten im Satz ab.
»Ja, wenn man mal seine Ruhe haben will, könnte man zum Mörder werden«, beendete sie den Satz, obwohl sie ahnte, dass er etwas ganz anderes hatte sagen wollen.
»Du verstehst dich gut mit deiner Schwester«, sagte er unvermittelt.
Deike lachte auf. »Ach Gott, mal so, mal so.«
»Tatsächlich? Ich hatte den Eindruck, ihr seid ein Herz und eine Seele.«
»Wohl eher Feuer und Wasser.« Sie ließ den roten Wein in ihrem Glas kreisen. »Wir sind ziemlich verschieden. Natty ist … sie ist perfekt. Sie sieht klasse aus, wusste immer genau, was sie wollte, hat sich Ziele gesteckt und sie auch erreicht. Sie nimmt das Leben mit großer Gelassenheit, ich dagegen rege mich schon über Kleinigkeiten viel zu schnell
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