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Ruf der Drachen (German Edition)

Ruf der Drachen (German Edition)

Titel: Ruf der Drachen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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kämpfte die Enttäuschung nieder, die mich zu überrollen drohte, und wartete wie aus Trotz eine weitere Minute. Und noch eine. Den wachsamen Blick meines Beobachters die ganze Zeit wie eine Warnung im Nacken.
    Dann änderte sich ganz plötzlich etwas. Das Gefühl, angestarrt zu werden, wurde sanfter, fließender. Und ich konnte nicht mehr verhindern, mich umzuwenden.
    Überrascht zuckte ich zusammen. Der Mann saß nicht mehr auf der Bank, sondern stand direkt hinter mir. Ich hatte keine Schritte gehört und auch nicht wahrgenommen, dass er näher gekommen war. Sein Blick war forschend, aber nicht unfreundlich, während er die Hände in den Taschen seines Mantels vergraben hatte. Einige Strähnen seines kinnlangen grauen Haares flatterten leicht im Wind. Ich schätzte ihn auf Mitte vierzig. Als unsere Blicke sich trafen, umspielte ein feines Lächeln die Mundwinkel des Fremden.
    »Sie interessieren sich für Brunnen? Dort hinten gibt es noch einen anderen.«
    Ich hob die Brauen und versuchte, ein möglichst unbeteiligtes Gesicht aufzusetzen, obwohl mir das Herz bis zum Hals schlug. »Wie bitte? Was meinen Sie?«
    Der Mann deutete mit einem Nicken hinter die Säulengänge.
    »Suchen Sie weiter. Er ist da.«
    Damit drehte er sich um und schlenderte gemächlich zurück zur Mauer, sprang mit einer Lässigkeit, die ich ihm nicht zugetraut hätte, darüber und ging dann den Weg hinunter, bis er im Schatten der Bäume verschwand.
    Ich stand die ganze Zeit wie angewurzelt an meinem Platz. Erst als der Mann außer Sichtweite war, blickte ich in die Richtung, in die er gedeutet hatte. Meine Gedanken jagten sich. Suchen Sie weiter. Er ist da.
    Ganz offensichtlich wusste der Mann, was ich suchte. Aber woher?
    Fast wäre ich ihm nachgerannt, um herauszufinden, wer er war und was er wusste. Weshalb er mir gefolgt war. Hatte ich zunächst geglaubt, ein Mitarbeiter der Staatssicherheit wäre mir auf den Fersen, so war ich mir nun sicher, dass der Mann mir schon in Westberlin gefolgt sein musste.
    Ein plötzlicher Gedanke traf mich wie ein Schlag: Was, wenn er der Verfasser der Nachricht war? Derjenige, dessen Botschaft mich erst hergeführt hatte?
    Einem Impuls folgend, wirbelte ich herum und rannte los, dem Mann hinterher, doch nach wenigen Schritten holte mich die Vernunft wieder ein und ich blieb stehen. Es war zu spät. Ich würde ihn in diesem Park ganz sicher nicht wiederfinden, wenn er das nicht wollte. Und davon war auszugehen. Also blieb mir nur der Brunnen, von dem er gesprochen hatte.
    Ich setzte mich langsam in Bewegung. Wie von einem unsichtbaren Faden gezogen, führte es mich aus dem leeren Becken heraus, unter den Kolonaden entlang und schließlich weiter, bis ich zu einem kleineren Brunnen kam. Ich verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und musterte aufmerksam die Figuren am Rand. Und dann sah ich ihn!
    Es war kein Drache, sondern ein Delfin, dessen Gesicht man mit einiger Mühe auch als drachenhaft bezeichnen konnte. Eine kleine Figur, unscheinbar grau, und doch war ich mir sofort sicher, dass es der Speier sein musste, nach dem ich suchte. In scheinbar unkoordinierten Abständen tröpfelte Wasser aus ihm hervor.
    Ich blickte mich um, doch weit und breit war niemand zu sehen. Vorsichtig näherte ich mich dem Delfin, der davon unbeeindruckt seine Rhythmik fortsetzte. Ich zog das Notenpapier aus der Tasche und schrieb eilig mit, was ich wahrnahm. Eine schnelle Folge von Wasserstößen. Sechs an der Zahl. Ich kritzelte sie als Sechzehntelnoten aufs Papier. Zwischen je drei Blöcken gab es eine kurze Pause, dann folgte eine sehr lange Pause, bevor es wieder von vorne losging.
    Stirnrunzelnd starrte ich auf den Delfin, dann auf die Noten und schließlich wieder auf den Delfin. Doch die Rhythmik blieb gleich, so lange ich auch wartete. Es kam nichts Neues hinzu und es gab auch keine Änderung in den Abständen. Also steckte ich das Notenpapier wieder ein und machte mich auf die Suche nach einem geheimen Fach am Wasserspeier, einem Ort, an dem eine Nachricht versteckt sein könnte.
    Mein Herz begann schneller zu schlagen, als ich am Hals des Delfins ganz klein die achtstrahlige Sonne erkannte. Auch hier also! Der Wasserspeier stand ganz offensichtlich mit den anderen in Verbindung und die Rhythmik musste eine Bedeutung haben. Doch ob es auch hier eine geschriebene Botschaft gab, das musste ich noch herausfinden.
    Ich tastete vorsichtig den Körper des Delfins ab, doch so sorgfältig ich auch suchte, ein Geheimfach

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