Ruf der Dunkelheit
die Augen zusammen und musterte mich, als wäre ich eine abscheuliche Grausamkeit der Natur. Nun gut, vielleicht war ich das auch – trotzdem ging mir ihr Verhalten mittlerweile total gegen den Strich.
„Bitte“ Olivia flehte fast. „Wir brauchen ein paar Dinge, für ein Ritual … und uns rennt die Zeit davon!“
„Ein Ritual?! Vor Unglauben traten ihr fast die Augen über. „Du zauberst mit diesen Geschöpfen?“ Offenbar riss Olivia in dieser Sekunde der Geduldsfaden, denn sie baute sich vor der alten Hexe auf und ihre Augen blitzten wütend, als sie los legte. „Ja, das tue ich – mehr noch, ich bin mit diesen Geschöpfen befreundet, deswegen möchte ich ihnen helfen, ihren Gefährten wieder zu finden. Ich helfe ihnen, so wie es meine Mutter schon getan hat und auch wenn viele von ihnen grausame Monster sind, wer sind wir, dass wir uns anmaßen, über alle ihrer Art zu urteilen?“ Ihre Stimme bebte nur ein klein wenig und ihr Blick war fest und entschlossen, als sie die Alte herausforderte. Ich war nach Olivias Ausbruch auf alles gefasst, doch die steinalte Hexe sah uns einen kurzen Moment lang an, ehe sie fragte: „Wer ist deine Mutter, Kind?“
Olivia reckte das Kinn vor. „Ihr Name war Melissa.“
„M-Melissa?“, fragte die Alte ungläubig. „Dann … dann ist das …“, sie nickte in meine Richtung, „der Vampir, der Damian getötet hat?“ Ihre Stimme war nur ein raues Flüstern. Olivia nickte bestätigend. Auf einmal schien sich der unüberwindbare Schleier zu heben und die Alte wandte sich um. „Folgt mir.“
Der Laden war klein und eng und es strömten etliche unbekannte Gerüche in meine Nase. Während Olivia der Hexe ihre Liste gab, wanderte mein Blick über die Regale. Auf einem standen verschiedenste Kräuter in gläsernen Behältern und auf einem anderen fanden sich in kleinen Fläschchen die unterschiedlichsten Tinkturen. Mein Blick fiel auf die beiden Hexen, die schon damit beschäftigt waren, alles Benötigte zusammen zu suchen. Ich hatte Olivia nicht gefragt, was alles auf der Liste stand, aber jetzt sah ich einiges auf dem Ladentisch stehen. Räucherwerk, Kerzen, zwei Phiolen mit verschiedenfarbigen Flüssigkeiten und jede Menge mehr. Ich schob meine Hände in die Hosentaschen und trat von einem Bein aufs andere, während ich wartete. Ich spürte immer wieder den Blick der Alten auf mir brennen und der ließ mich wissen, dass sie mich und meine Artgenossen verabscheute. Ich konnte zwar nicht in ihren Gedanken lesen, doch der Ausdruck auf ihrem faltigen Gesicht reichte völlig aus, um zu wissen, was sie dachte.
Ich schlich also weiter herum, während ich wartete und tat so, als würde mich der verstaubte Kram unheimlich interessieren.
„So, das wars – wir haben alles“, erklang Olivias Stimme hinter mir und ich wandte mich aufatmend zu ihr um. Sie drückte mir eine braune Papiertüte in die Hände und bedankte sich überschwänglich bei der Besitzerin des Ladens. Diese nickte nur grummelnd und ihre Augen wurden schmal, als ich mich mit einem spröden „Danke“ verabschiedete und Olivia nach draußen folgen wollte. Doch da berührte mich ihre eiskalte Hand; ihre gekrümmten Finger hielten mich fest und sie kam mir so nah, dass es mir wirklich unangenehm war. „Ich sehe, was in dir tobt; den Kampf, den du mit deinem brodelnden Inneren ausfechtest.“ Ich horchte auf, als ich ihre flüsternde Stimme neben meinem Ohr vernahm. „Ich hoffe für dich, dass es dir nicht wie ihm ergeht.“ Sie hob verheißungsvoll ihre Brauen und ließ meinen Arm endlich los. Ohne etwas zu erwidern trat ich eilig nach draußen und lief zum Auto, vor dem Olivia auf mich wartete.
„Was wollte sie von dir?“, fragte Olivia und sah mich an, als wir uns auf dem Rückweg befanden. Ich ließ meinen Blick weiter auf die Straße gerichtet und zögerte einen Moment, ehe ich antwortete. „Ach, nichts weiter – sie … hat mich nur davor gewarnt, so zu werden, wie Damian war“, erklärte ich.
„Aha, wie kommt sie denn auf so etwas?“ Olivia zog grübelnd die Stirn zusammen. „Keine Ahnung“, erwiderte ich schnell. „Hmm“, machte sie nur, doch in ihrer Stimme schwang Argwohn mit. Zum Glück bohrte sie nicht weiter nach und wir verloren keine Zeit mehr, um uns auf den Rückweg zu machen.
Kurz bevor wir das Haus erreichten, in dem Julian und Val auf unsere Rückkehr warteten, bedachte ich Olivia mit einem fragendem Blick. „Wann sollen wir den Zauber durchführen?“
Ohne zu zögern
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