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Ruf der verlorenen Seelen

Ruf der verlorenen Seelen

Titel: Ruf der verlorenen Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Derting Kimberly
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alles anders, und manchmal
wunderte Violet sich, wie weit er ging, um sie zu beschützen.
Sie wusste, dass er sogar ihre Geheimnisse verraten würde,
wenn er sie damit aus einer Gefahr heraushalten könnte.
    Sie setzte sich mit dem dampfenden Becher, in dem der Teebeutel
schwamm, an den Tisch.
    Widerstrebend setzte Jay sich zu ihr. Er beugte sich vor,
stützte die Ellbogen auf die Knie und schaute sie argwöhnisch
an. Schließlich seufzte er. »Ich halte dicht … wenn du mir eins
versprichst.«
    Sie schaute ihn an und stockte, als sie seinen Blick sah. Die
Mischung aus Zärtlichkeit und Angst kannte sie schon, doch
diesmal bekam sie davon ein warmes, weiches Gefühl im Innern.
Er streckte die Hand nach ihr aus und zog sie zu sich
heran. Sie setzte sich auf seinen Schoß, und er schlang die
Arme um sie. Er liebkoste ihren Hals und atmete tief ein, als
hätte ihr Duft eine beruhigende Wirkung.
    Â»Nächstes Mal«, sagte er, leiser als zuvor, »rufst du mich an.«
Sie nickte, froh, dass er für sie da war.
    Selbst nach all diesen Monaten überraschte es sie immer
wieder, dass sie in ihren besten Freund verliebt war.

    Violet überlebte die erstaunlich kurze Befragung ihrer Eltern.
Jay und sie hatten sich als Ausrede überlegt, sie hätten zusammen
zu Chelsea fahren müssen, weil Violet am Tag zuvor
ihr Handy in Chelseas Wagen vergessen hätte. Doch die Geschichte
war unnötig. Ihre Eltern waren gar nicht so besorgt,
wo sie gewesen war. Sie machten sich viel mehr Sorgen darüber,
wie es ihr ging, nachdem sie sich am Abend zuvor in ihrem
Zimmer eingeschlossen hatte.
    Später in ihrem Zimmer schaltete Violet den Fernseher ein
und schaute die Lokalnachrichten, weil sie wissen wollte, ob am
Hafen eine Leiche gefunden worden war. Als in den Nachrichten
nichts kam, guckte sie im Internet nach. Sie hatte Angst,
dass ihre schlimmsten Ängste sich bestätigten und tatsächlich
jemand ermordet worden war.
    Gleichzeitig hatte sie Angst, nichts zu finden und in dieser
quälenden Ungewissheit verharren zu müssen. Sie wusste
nicht, was schwerer zu ertragen wäre.
    Am Ende war sie nicht schlauer als am Morgen.
    Also stand ihr noch eine harte Nacht bevor, und es dauerte
Stunden, bis sie in einen leichten, wenig erholsamen Schlaf
glitt. Immerhin war es eine traumlose Nacht, und dafür war
Violet dankbar.
    Als es endlich Morgen wurde, wäre Violet am liebsten im
Bett geblieben und hätte die Schule geschwänzt. Aber die
Vorstellung, den ganzen Tag ihre besorgte Mutter um sich zu
haben, war noch weniger verlockend, als sich durch einen weiteren
Tag zu quälen.
    Sie raffte sich auf, obwohl sie müde und schlapp war. Duschen
half ein wenig. Aber vom Frühstück wurde ihr nur übel.
Sie fühlte sich überhaupt nicht wohl. Und sie ärgerte sich,
weil sie wusste, dass sie diesen Tag wie in Trance hinter sich
bringen würde, ebenso wie den nächsten und übernächsten.
So lange, bis der Mensch im Container gefunden und beerdigt
werden konnte.
    Bevor sie zur Tür hinausging, piepste ihr Handy. Sie hatte
eine SMS bekommen. Von Jay.
    Schalt die Nachrichten ein.
    Violet griff nach der Fernbedienung und zappte durch die
Lokalsender. Schon bald hatte sie gefunden, was Jay meinte, es
war auf allen Kanälen.
    Ein vierjähriger Junge war gestern Nacht am Hafen von
Seattle gefunden worden. In einem Container. Sie zeigten ein
Foto von einem blonden Jungen mit Engelsgesicht.
    Violet kannte das Foto, sie hatte das Gesicht schon mal in
den Nachrichten gesehen, eine Geschichte, an die sie nicht
mehr gedacht hatte. Vor mehreren Wochen war durch alle Medien
gegangen, dass in Utah ein Kind verschwunden war.
    Sie wusste noch, dass der Junge auf dem Foto sie damals
entfernt an ihren kleinen Cousin Joshua erinnert hatte.
    Violet fühlte sich elend. Sie musste sich auf den Rand des
Couchtischs setzen, weil der Boden unter ihr schwankte. Ihr
war, als würde sie auf einmal nicht genug Luft bekommen.
    Immerhin verstand sie jetzt den Traum von Samstagnacht.
    Sie hatte von einem toten Jungen geträumt. Einem toten
Jungen, den es wirklich gab.
    Sie ließ ihre Schultasche fallen und beschloss, heute doch
lieber zu Hause zu bleiben.
    Hätte sie sich doch bloß getäuscht, wäre in dem Container
nur ein totes Tier gewesen, dann wäre jetzt alles anders. Jetzt,
mit der Gewissheit, dass sie sich nicht getäuscht hatte, dass sie
gewusst hatte, was

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