Ruf der verlorenen Seelen
verpasst?
« Seine bernsteinfarbenen Augen lächelten und kurz war
das Grübchen auf seiner Wange zu sehen.
Violet konnte verstehen, was Chelsea an ihm fand, er hatte
wirklich etwas Besonderes an sich.
Aber was fand Jay an ihm? Das niedliche Grübchen war es
bei ihm ja wohl hoffentlich nicht.
Chelsea, die neben Jules saà und ungewöhnlich still gewesen
war, lebte sofort auf. »Nichts. Wir haben uns nur gefragt, wo
du so lange bleibst.« Sie strahlte Mike an.
Mike stutzte, er wusste nicht recht, was er sagen sollte, dann
lächelte er Jay an. »Tja, dann ist es ja gut, dass ich jetzt da bin.«
Chelsea kicherte, so seltsam und schrill, dass Violet sich fast
an ihrem Essen verschluckte. Was hat sie bloÃ? , dachte sie sich
und schaute Chelsea argwöhnisch an. Hat sie etwa irgendwas
genommen?
»Jedenfalls«, sagte Chelsea, als hätte Mike sie unterbrochen
und nicht, als hätte sie ihn herbeigesehnt, »was haltet ihr davon,
wenn wir heute alle zusammen was machen? Vielleicht ins Kino
gehen oder so?«
O nein , dachte Violet. Nach einem Abend mit »allen« stand
ihr überhaupt nicht der Sinn. Sie lieà die Schultern hängen und
seufzte.
Aber bevor Chelsea ihr Date festmachen konnte, sagte Jay:
»Violet und ich haben schon was vor. Wir machen heute Abend
mal was allein.« Er stieà Violet unter dem Tisch mit dem Knie
an. Um Chelsea nicht vor den Kopf zu stoÃen, sagte er: »Vielleicht
können wir am Wochenende was zusammen unternehmen.
« Leise sagte er zu Violet: »Wir müssen ja auch noch
Hausaufgaben machen.«
Wieder seufzte sie, ein anderes Seufzen diesmal. Er hatte sie
also nicht vergessen. Und sie verlor ihn nicht an den Neuen mit
den hübschen Grübchen.
Die Anspielung mit den Hausaufgaben war ihr natürlich
nicht entgangen.
Sie lächelte in sich hinein.
»Klar. Kein Problem«, sagte Mike und aà fast sein halbes
Sandwich mit einem einzigen Bissen auf. Jays Worte lieÃen
ihn völlig unbeeindruckt, und Violet fand ihn auf einmal etwas
netter.
Chelsea dagegen sah richtig geknickt aus und Violet hatte
Mitleid mit ihr, eine ganz ungewohnte Regung. Aber so weit
ging ihr Mitleid dann doch nicht, dass sie deshalb auf einen
Abend mit Jay allein verzichtet hätte
Sie waren gerade auf dem Heimweg von der Schule, Violet saÃ
neben Jay auf dem Beifahrersitz, als der erste Anruf kam. Das
Display zeigte eine unbekannte Nummer aus Seattle, und sie
hatte keine Lust herauszufinden, wer es war. Also wies sie den
Anruf ab.
Der Anrufer hinterlieà keine Nachricht.
Jay brachte sie nach Hause, küsste sie zärtlich zum Abschied
und versprach zu kommen, sobald er die Aufgaben erledigt
hatte, die seine Mutter ihm jeden Nachmittag zuteilte.
Normalerweise musste er im Haus dies und das erledigen,
den Müll raustragen und so weiter, aber da er der Mann im
Haus war, brauchte seine Mutter auch manchmal seine handwerkliche
Hilfe. Mit Schraubenzieher und Klebeband konnte
er mittlerweile ganz gut umgehen.
Als er abfuhr, klingelte Violets Handy erneut.
Sie schaute darauf â wieder dieselbe Nummer.
Abermals wies sie den Anruf ab und auch dieses Mal wurde
keine Nachricht hinterlassen.
Vor der Haustür blieb Violet stehen und schaute Jays Wagen
nach. Sie versuchte, das eigenartige Gefühl zu ignorieren, das
sie schon die ganze Woche quälte. Es war ihr aufgefallen, bevor
der kleine Junge beerdigt wurde, als sie in diesem benebelten
Wartezustand war. Das unangenehme Gefühl, nicht allein zu
sein, als würde jemand sie verfolgen und beobachten.
Das bildest du dir ein , sagte sie sich zum x-ten Mal.
Sie schaute noch einmal zur Einfahrt, bevor sie ins Haus ging
und die Schultasche neben der Tür abstellte. Ihre Mutter war
noch in ihrem Atelier im Gartenhäuschen. Aber auf der Anrichte
in der Küche lag ein Zettel für Violet.
Ein Name und eine Telefonnummer. Dieselbe Nummer, die
sie heute schon zweimal auf ihrem Handy gesehen hatte.
Da wollte sie jemand offenbar wirklich dringend sprechen,
jemand, dessen Nummer sie nicht kannte.
Violet steckte den Zettel ein und ging mit einer Dose Cola
hoch in ihr Zimmer.
Sie setzte sich im Schneidersitz aufs Bett, suchte die Nummer
unter den verpassten Anrufen heraus und drückte auf »Anrufen
«.
Es klingelte zweimal, bevor eine weibliche Stimme am anderen
Ende sagte: »FBI, AuÃenstelle Seattle, was kann ich für
Sie tun?«
Violet riss das Telefon vom Ohr,
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