Ruf des Blutes 5 - Erbin der Nacht (German Edition)
Logik dessen, wenn er den Gedanken zuließ, konnte er nicht ignorieren.
„Lavant!“, rief er in der Halle der Wächter. „Ich weiß, dass du dich hier noch rumtreibst. Komm raus.“
Keine Antwort. Entschlossen stieg er die Stufen zu den obersten Grabreihen hinauf und machte sich auf die Suche. Mit jedem Fund wurde ihm das Herz schwerer, verlor er mehr und mehr die Fassung. Das konnte er nicht verstehen. Dafür gab es keine Erklärung. Zumindest keine, die er verstanden hätte.
„Einer musste es doch tun“, sagte sein Bruder schließlich hinter ihm.
Er fuhr herum, eine der Waffen noch in der Hand. Silbernitrat. Werwolfgeschosse. Er spielte für Sekunden mit dem Gedanken, abzudrücken.
„Warum, Lavant?“
„Warum? Das fragst du? Weil wir die Wächter sind. Wir müssen die Tore schützen. Dazu wurden wir einst erschaffen.“ Er drehte sich um und blickte in die Runde. „Aber unsere Art stirbt und die Tore stehen jedem offen, der sie zu nutzen weiß. Wenn wir sie nicht mehr aufhalten können, müssen wir sie töten. Das hast du auch getan.“
„Ja, aber nur, wenn ich sie erwischt habe, wie sie ein Tor benutzen. Und auch nur, wenn sie es ständig taten.“
„Jeder Dämon wird früher oder später die Tore nutzen, wenn ihm das einen Vorteil bringt. Wir sind zu wenige, um sie zu schützen, also müssen die Dämonen sterben, um es zu verhindern. Und diese Waffen können jeden von ihnen töten.“
Blue war tief getroffen. Sein Bruder hatte den Orden der Lux Sangui bestohlen und reiste mittels der Dolmentore durch die ganze Welt, um Attentate auf PSI-Wesen, auf Dämonen, zu verüben.
„Wie lange dachtest du denn, würdest du brauchen? Dir wird eher die Munition ausgehen, als dass du auch nur ansatzweise ernstlich ihren Bestand gefährdest.“
„Irgendwo musste ein Anfang gemacht werden. Ich bereue es nicht.“
Was er damit losgetreten hatte, wollte Blue nicht näher ergründen. „Ist dir eigentlich klar, dass du dabei Freunde von mir verletzt hast?“
Lavant schnaubte. „Was für Freunde?“
„Zum Beispiel diesen Vampir, den du in Miami von seinem Bike geholt hast. Ein Glück, dass es kein echtes Elektrum war.“
„Ich hatte mich vergriffen. Das passiert mir nie wieder.“
„Hör auf! Das ist doch krank. Er bedeutet Mel und Armand sehr viel. Und mir auch. Freunde meiner Freunde sind auch meine Freunde.“
„Wie kannst du Freundschaften zu diesen Wesen pflegen?“
Er verdrehte die Augen und stöhnte. „Hör endlich mit diesem jahrhundertealten Bullshit auf, Mann. Es kümmert keinen mehr. Auch nicht die Götter. Wenn es sie überhaupt gibt. Es gilt zu überleben. Und es gilt sich zu entscheiden, wer Freund und wer Feind ist. Und eins hab ich in den letzten Wochen gelernt, das hängt nicht davon ab, ob jemand ein Mensch oder ein PSI ist.“
Das hatte er wirklich. Er wollte das, was ihn mit seinen neuen Freunden verband, nicht mehr missen. Und von Kaliste und Cyron abgesehen, gehörten die Feinde ausnahmslos zum menschlichen Kreis.
„Wer ist noch dabei?
Lavant sah ihn verständnislos an.
„Wenn ihr mit mehreren angreift. Wen nimmst du mit?“
„Ich weiß nicht, wovon du redest. Wir sind die Letzten, Bruder. Es gibt auch keine Handvoll mehr außer uns, wie du denkst. Nur noch dich und mich. Ich war immer allein.“
Blue zog die Brauen hoch. Damit hatte er nicht gerechnet. Er war fest davon ausgegangen, dass ein paar von ihnen dahintersteckten mit Lavant als Rädelsführer. Aber wenn nicht, wer dann? Doch Kaliste? Oder Rybing? Es spielte keine Rolle mehr. Mel würde es bald wissen und die Anschläge so oder so beenden. Er sah seinen Bruder lange an, überlegte, was er tun sollte. Töten kam nicht infrage, aber er konnte ihn auch nicht weitermachen lassen. Schließlich packte er die Waffen zusammen und ging hinunter zur Energiekammer.
„Was hast du vor?“
„Wonach sieht es denn aus? Hilf mir, die Elektrum-Kugeln rauszusuchen. Dann hat dein Alleingang wenigstens einen Nutzen.
„Ich werde nicht auf …“
„Sei still“, fuhr Blue seinen Bruder an. „Du wirst keine von diesen Waffen mehr in die Hand nehmen, oder ich sorge dafür, dass du dich vor deiner Zeit verpuppst und auf Raupe machst. Wir werden den Lauf der Zeit nicht ändern, auch wir sind ihr unterworfen, und wenn es unser Schicksal ist, zu sterben, dann tun wir es irgendwann. Aber noch besteht Hoffnung. Wenn die Vampirin, über die du dich so aufgeregt hast, Erfolg hat, dann haben wir bald genug Elektrum, um jeden von
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