Ruhe Ist Die Erste Buergerpflicht
– nach solchem Embarras, scheide, breche? Ob das nicht ein Bruch mit Rußland, mit den Alliirten wäre? Ob Napoleon wenigstens das nicht so ansehen müsse? Ob er mit Gewalt in dessen Arme wolle gestoßen sein?«
Der Legationsrath neigte sich zum Ohr der Fürstin: »Ein moralischer Koup. Irgend eine Attrape – um Mitternacht meint man. Worin sie bestehen wird, ist noch Geheimniß.«
»Doch keine Geisterscheinung!« Die Fürstin sah ihn mißtrauisch an. »Die kämen im Jahre 1805 um zehn zu spät. Und woher wissen Sie es?«
Der Legationsrath beugte sich wieder aus Ohr der Fürstin, als die Thür aufgerissen ward, und der Jäger herein rief: »Excellenz, Minister Laforest!«
»Laforest!« hallte es leise wider von den Lippen; die Gesichter schienen zu erblassen wie vor einer Geistererscheinung. Aber Laforest's Eintritt verscheuchte den Eindruck. Ihm voraus sprang ein großes schönes Windspiel; er selbst im eleganten hellen Negligé-Ueberrock glich mehr einem Engländer als einem Franzosen; nonchalant und heiter, warf er leicht grüßend seine Blicke im Kreise umher, nachdem er vor der Fürstin sich verbindlich geneigt.
»Herr von Laforest in Potsdam – das ist ja eine unerwartete Ueberraschung!« sagte diese.
»Sie meinen, weil Duroc abgereist ist, müsste ich auch Pässe erhalten. Durocs Mission war Krieg, meine Frieden. Der Krieg geht ab, der Friede bleibt. Gnädigste Frau, das ist der Vorzug eines ordentlichen Gesandten, der sich um außerordentliche Dinge nicht zu kümmern hat.«
»Excellenz haben vermuthlich doch die Dinge sehr nahe betrachtet?«
»Ich kam auf dem Umweg über Sanssouei. Das herbstliche Laub giebt eine wunderliche Schattirung. Sie sollten dahin einen Ausflug machen. Herr von Stein ging an mir vorüber, ohne mich zu sehen. Ich mache nun wirklich nicht Ansprüche ein Menschenkenner zu sein, aber ein ABC-Schüler konnte auf seinem Gesicht lesen, daß seine Kriegspläne nicht durchgegangen sind. Ein Biedermann, ein scharfer Verstand, mit einem Wort ein Kraftgenie, dieser Herr von Stein. Wirklich schade, daß er ein Ideologe ist.«
»Haben Sie gute Nachricht von Ihrem Kaiser? Seine Majestät befinden sich doch in erwünschtem Wohlsein?«
»Er erwartet mit Sehnsucht den Ambassadeur aus Berlin. Sie müssen wissen, Kaiserin Josephine bewundert Kaiser Alexander in der Stille um seine Humanität, seine Ritterlichkeit. Sie möchte ihn gern von Angesicht sehen –«
»Mein Kaiser Alexander ist zu galant, als daß er dem Wunsch einer reizenden Dame nicht gern entgegen käme.«
»Auf das Entgegenkommen kommt es ja nur an, in allen Dingen.«
»Das fehlte noch, daß uns Napoleon hier überraschte!« rief unwillkürlich Major Eisenhauch.
Der Gesandte schien es gehört zu haben: »Aber nichts von Ueberraschung in so ernsten Dingen. Ein neutraler Ort in der Mitte, der findet sich ja leicht zum Fürstenkongreß. Drei, vier edle Monarchen, und noch edlere Menschen, begleitet von schönen Fürstinnen, holden Frauen, in deren Augen der Thau des Mitgefühls für Menschenleiden perlt, und in ihren Händen ruhend das Schicksal des Kontinents! Was giebt es Schöneres? Einen Dichter könnte es begeistern zu einer Ode. Leider sind Diplomaten keine Dichter. Tiras, Attention!«
»Wohin?« Laforest war aufgestanden, der Hund sprang an ihn herauf: »Wittgenstein ließ mich dringend auf einen Augenblick bitten. Was wird es sein? Eine neue
chronique scandaleuse.
– Berlin ist von Ihrem Kaiser enchantirt. Weiß man noch gar nichts, wo sein Auge hasten blieb?«
»Wohin sehen Excellenz?«
»Prächtig! – Das sind die Söhne der Natur, Prinzessin! Besonders der ältere mit dem röthlichen Bart.«
»Ach, die beiden Donischen Kosacken, seine Begleiter!«
»Solche Ursprünglichkeit! Das erquickt das Auge. Wie zusammengewachsen mit ihren Pferden. Kein Blick der Neugier auf die Tausende, welche sie angaffen. Herr von Eisenhauch seufzt – gewiß über unsere Entartung. Ja, von den Söhnen der Steppe könnte wieder frisches Blut in unser Geschlecht kommen.«
»Der Kaiser reitet jetzt wahrscheinlich aus,« sagte der Kammerherr.
»Wenn Kaiser Napoleon uns mit seinem Besuch erfreuen sollte, sprach der Major, wird er uns doch auch mit seinem treuen Rustan überraschen.«
»Hier braucht er keine Mamelucken,« fiel Laforest rasch ein.
»Im Vaterlande der Humanität schützt ihn Ruhe und Ordnung. Er hat es oft gesagt, in Berlin würde er allein, ohne Waffen, ohne Begleitung in der Dämmerung durch die Winkelgassen
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