Ruhe Sanft
unwichtig es schien — am schlimmsten von allem war, daß sie nichts von Silvestri gehört hatte.
Esther Fillis klatschte in die Hände, daß die goldenen Armreifen klirrten. »Phantastisch! Absolut phantastisch!« Die zierliche Frau in der dunkelbraunen Gabardinehose und dem beige Seidenhemd nickte heftig.
»Wenn du jetzt nur noch diese unfreundlichen Falten von deiner sonst so schönen Stirn vertreiben würdest, Wetzon«, sagte Laura Lee, »wäre alles bestens.«
»Ich kann mir so einen Mantel nicht leisten, Laura Lee«, protestierte Wetzon halbherzig.
»Natürlich kannst du, Wetzon. Erzähle mir bloß nicht, du willst abwarten, bis irgendein dummer Mann vorbeikommt und dir einen schenkt.«
»Das habe ich nicht gemeint.«
»Hast du mir nicht gerade erst letzte Woche gesagt, daß das Geschäft so gut war? Und betrachte dich im Spiegel. Sieh nur, wie gut der Mantel zu deinen Augen paßt.« Laura Lee legte die Hände auf Wetzons Rücken und schob sie vor den dreiteiligen Ganzfigurspiegel. Wetzons klare graue Augen wirkten strahlend, hervorgehoben durch das silbrige Grau des Mantels.
»Oje«, murmelte Wetzon und streichelte den weichen Pelz, gefesselt von ihrem Spiegelbild.
Eine stämmige dunkelhaarige Frau kam mit einem karamelfarbenen Pelzmantel auf einem Kleiderbügel herein.
»Oh, prima, da ist mein bestes Stück.« Laura Lee ließ Esther den Mantel halten, steckte die Arme in die Ärmel und zog den breiten Schalkragen um die Ohren. Sie zappelte geradezu vor Vergnügen. Die Spitzen ihres braunen Haars mischten sich mit dem Pelz des Kragens. »Mr. Stone Marten, Schatz, ich liebe dich.«
»Er ist himmlisch«, sagte Esther Fillis, die sich am Saum zu schaffen machte und die Schultern glattzog. Laura Lees Mantel war zauberhaft mit seinen satten Brauntönen, aber Wetzon, die sich wieder im Spiegel betrachtete, zog ihren Waschbärpelz vor. Immer langsam, dachte sie, er gehört nicht dir. Zieh ihn sofort aus.
Laura Lee drehte sich im Kreis. »Was meinst du, Wetzon? Sieh dir den Rücken an. Ist er nicht wunderbar?«
»Er ist wunderschön, Laura Lee.«
»Okay, Esther, ich behalte ihn gleich an. Sie können meinen Nerz neu füttern und mir schicken.« Sie hob ihren schwarzen Nerzmantel vom Stuhl auf und gab ihn Esther, die ihn auf den Bügel hängte, den sie noch in der Hand hielt.
»Wie gefällt Ihnen der Waschbär?« fragte Esther.
»Ich glaube nicht...«
»Sie nimmt ihn, Esther. Sie wird ihn sogar tragen. Hast du mir nicht eben erst erzählt, Wetzon, daß du dir einen neuen Mantel kaufen müßtest?« Laura Lee deutete auf Wetzons Burberry auf einem anderen Stuhl. »Und dieses langweilige alte Ding packen Sie in eine Schachtel und schicken es ihr mit der Post.«
»Aber Laura Lee...«
»Tu dir was Gutes, hörst du, Wetzon!« Laura Lee begutachtete sich zufrieden im Spiegel. »Sehen wir nicht vornehm aus? Gib’s zu.«
»Ja, schon, aber...«
»Wo hast du dein Geld liegen, Schatz? Ich habe sowieso mit dir darüber reden wollen... auf einem Sparkonto, richtig? Wo es fünf Prozent Zinsen bringt, richtig?«
»Hm, ja.«
»Wir müssen uns .zusammensetzen und über einen Finanzplan für dich sprechen.« Laura Lee drohte ihr mit einem Finger. »Ich rufe dich sofort an, wenn ich nächste Woche aus Mobile zurück bin, und du kommst und besprichst es mit mir.«
»Meinst du, er muß kürzer gemacht werden?« Wetzon straffte die Schultern und wandte sich dem Spiegel zu. Laura Lee hatte recht. Sie konnte es sich leisten, sich zu verwöhnen, und sie würde es tun. Sie verdiente diesen Mantel.
»Auf keinen Fall. Heb ihn einfach hoch, wenn du über ein Hundehäufchen steigst, Schatz.«
Wetzon war davon überzeugt, daß sie von allen angestarrt wurden, als sie und Laura Lee aus dem Gebäude an der Seventh Avenue und 28. Street traten. Ein wenig verunsichert zupfte sie an den Ärmeln des Mantels und zog die Baskenmütze über die Ohren. Der Tag hatte mit der abrupten Endgültigkeit eines New Yorker Wintertages geendet. Ein Zauberstab strich über die Stadt, und plötzlich war die Nacht da. Pelz- und Textilarbeiter strömten aus den Gebäuden, ergossen sich auf die Straße, eilten zur Subway, zur IRT an der Seventh Avenue, zur Independent Line an der Eighth und zur BMT am Broadway und zu den PATH-Zügen nach New Jersey.
»Hast du gesagt, du wolltest zu Sardi’s ?« Laura Lee winkte, und ein Taxi fuhr an den Randstein heran, während ein anderes mit quietschenden Bremsen direkt vor ihnen hielt und dem ersten den Weg
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