Ruhig Blut!
vertragen. Ist noch Bran-
dy übrig?«
Nanny kam herein und zog den Korken aus dem Flachmann. »Ich hab
das Ding im Schloß wieder aufgefüllt. Natürlich ist es nur das gewöhnli-
che Zeug, das man im Laden kaufen kann, aber…«
Agnes’ linke Hand griff nach dem Fläschchen und setzte es an die Lip-
pen. Anschließend hustete sie so hingebungsvol , daß ihr ein Teil des
Brandys in die Nase geriet.
»Langsam, langsam, es mag gewöhnliches Zeug sein, aber es ist trotz-
dem ziemlich hochprozentig«, sagte Nanny.
Agnes knal te den Flachmann auf den Tisch.
»Na schön«, sagte sie, und Nanny gewann den Eindruck, daß ihre
Stimme plötzlich ganz anders klang. »Mein Name lautet Perdita, und
hiermit übernehme ich diesen Körper!«
Festgreifaah bemerkte den Geruch von verbranntem Holz, als er zum
Vogelhort schlenderte, aber er führte ihn auf das große Feuer im
Schloßhof zurück. Er hatte das Fest schon früh verlassen, denn niemand
wol te über Falken reden.
Der Geruch wurde wesentlich stärker, als er bei den Vögeln nach dem
Rechten sah, und dann bemerkte er die kleine Flamme auf dem Boden.
Einige Sekunden lang starrte er darauf hinab, holte dann einen Eimer
Wasser und leerte ihn über dem Feuer.
Es brannte weiter auf einem Boden, der aus Stein bestand und jetzt
ganz naß war.
Festgreifaah blickte zu den Vögeln. Offenbar begegneten sie der
Flamme mit Interesse – normalerweise wurden sie in der Gegenwart von
Feuer sehr unruhig.
Festgreifaah neigte nicht dazu, in Panik zu geraten. Er betrachtete das
Phänomen eine Zeitlang, nahm dann ein Stück Holz und hielt es an die
Flamme. Das Feuer sprang hinüber und brannte dort weiter.
Das Holz verkohlte nicht.
Er nahm einen kleinen Zweig, hielt ihn an das erste Holzstück und be-
obachtete erneut, wie das Feuer übersprang. Die Flamme existierte nur
einmal; eine zweite sol te es ganz offensichtlich nicht geben.
Einige Leisten im Fenster waren verbrannt, und Festgreifaah hatte an-
gesengtes Holz dort gefunden, wo die alten Nistkästen gestanden hatten.
Außerdem fiel das Licht einiger Sterne, fiel von hohen Nebelschwaden
gefiltert, durch ein Loch im Dach.
Etwas hatte hier gebrannt, soviel stand fest. Und zwar ziemlich heiß.
Doch auf eine örtlich sehr begrenzte Weise, als hätte sich die Hitze nicht
entfalten können…
Festgreifaah tastete nach der Flamme am Ende des Zweigs. Sie war
warm, aber… nicht so heiß, wie man es unter normalen Umständen er-
wartete.
Sie leuchtete nun an seinem Finger und verursachte ein leichtes Pri-
ckeln. Als er damit winkte, folgten die Vögel der Bewegung.
Im Licht des sonderbaren Feuers untersuchte Festgreifaah die Reste
der Nistkästen und fand Teile von Eierschalen.
Er sammelte sie ein und brachte sie in den überfül ten kleinen Raum
am Ende des Vogelhorts, der ihm als Werkstatt und Schlafzimmer dien-
te. Dort ließ er die Flamme auf eine Untertasse wechseln und hörte in
der Stille, wie sie leise zischte.
In ihrem Schein wandte er sich dem Regal überm Bett zu und griff
nach einem großen, abgegriffenen Band. Vor Jahrhunderten hatte je-
mand das Wort »Vöhgel« darauf geschrieben.
Eigentlich hatte das Buch mehr Ähnlichkeit mit einem besonders gro-
ßen und dicken Aktenordner. Mehrmals war der Rücken aufgeschnitten
worden, um weitere Seiten hinzuzufügen.
Die Falkner von Lancre wußten viel über Vögel. Eine der wichtigsten
Zugrouten zwischen Mitte und Rand führte direkt über das Königreich
hinweg. Im Lauf der Zeit hatten die Falken viele seltsame Spezies vom
Himmel geholt, und die Falkner waren nicht müde geworden, al es genau
zu notieren. Die Seiten waren gefül t mit Zeichnungen und ganz klein
geschriebenen Anmerkungen, denen man immer wieder neue Informati-
onen hinzugefügt hatte. Gelegentlich aufs Papier geklebte Federn ließen
das Buch noch dicker werden.
Niemand hatte sich die Mühe gemacht, ein Register zu erstellen, aber
ein früherer Falkner war bemüht gewesen, die meisten Einträge alphabe-
tisch anzuordnen.
Festgreifaah sah erneut zur Flamme, die auf der Untertasse brannte,
blätterte dann vorsichtig und las bei »F«.
Nach einer Weile fand er das Gesuchte bei »P«.
In den tiefsten Schatten des Vogelhorts duckte sich etwas.
In Agnes’ Hütte gab es drei Regale mit Büchern. Nach den Maßstäben
von Hexen kam dies einer riesigen Bibliothek gleich.
Zwei kleine blaue Gestalten lagen auf den Büchern und beobachteten
das Geschehen
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