Ruhig Blut!
scharrten sogar mit den Fü-
ßen und versuchten, ihren Bierkrug hinter dem Rücken zu verbergen.
»Jason? Darren? Ihr kommt mit«, befahl Nanny. »Wir haben es auf
Vampire abgesehen, klar? Hat jemand spitze Pflöcke dabei?«
»Nein, Mama«, sagte Jason, Lancres einziger Schmied. Dann hob er die
Hand. »Aber vor zehn Minuten kam der Koch und fragte, ob jemand die
komischen Dinger mit dem vielen Knoblauch wol te, und ich habe sie
gegessen.«
Nanny schnupperte, trat einen Schritt zurück und fächelte mit der
Hand vor ihrem Gesicht. »Ja, das sol te eigentlich genügen«, meinte sie.
»Du rülpst ordentlich, wenn ich dir ein Zeichen gebe, in Ordnung?«
Agnes nahm ihren ganzen Mut zusammen. »Ich bezweifle, daß das
klappt, Nanny.«
»Wieso denn? Mich hätte es fast umgehauen.«
»Ich habe es dir doch gesagt. Selbst wenn es klappen könnte – du kommst gar nicht nahe genug heran. Perdita hat es ganz deutlich gespürt.
Es ist so, als… wäre man betrunken.«
»Diesmal bin ich vorbereitet«, erwiderte Nanny. »Ich habe das eine o-
der andere von Esme gelernt.«
»Ja, aber sie…« Agnes wollte sagen: Ja, aber sie kann das besser als du.
Doch sie korrigierte sich im letzten Augenblick: »… ist nicht hier.«
»Mag sein. Aber ich trete den Vampiren lieber jetzt gegenüber, als Es-
me später erklären zu müssen, warum ich auf eine Konfrontation ver-
zichtet habe. Kommt.«
Agnes folgte den Oggs vol er Unbehagen. Sie wußte nicht, wie weit sie
Perdita vertrauen konnte.
Einige Gäste waren heimgekehrt, doch das Festmahl im Schloß bot
viele kulinarische Attraktionen, und ganz gleich, aus welcher gesel schaft-
lichen Schicht die Lancrestianer stammten: Sie neigten nicht dazu, sich
einfach von so schwer beladenen Tischen abzuwenden.
Nanny sah sich in der Menge um und hielt Shawn fest, der mit einem
Tablett vorbeikam.
»Wo sind die Vampire?«
»Wer, Mama?«
»Der Graf… Elster oder so.«
»Elstyr«, verbesserte Agnes.
»Ja«, bestätigte Nanny.
»Er ist nicht… Er ist oben im… Solarium, Mama. Sie sind alle… Wa-
rum riecht es hier so nach Knoblauch, Mama?«
»Das ist dein Bruder. Na schön, laßt uns gehen.«
Das sogenannte Solarium befand sich ganz oben im Schloß. Es war alt,
kalt und zugig. Auf die ausdrückliche Bitte der Königin hin hatte Veren-
ce die großen Fenster verglasen lassen, was al erdings bewirkte, daß der
große Raum nun besonders hinterlistige und beharrliche Zugluft anlock-
te. Aber es war ein königliches Zimmer, nicht so öffentlich wie der Gro-
ße Saal. Hier empfing der König Gäste, wenn er ganz offiziell inoffiziell
sein wollte.
Nanny Oggs Expeditionskorps rückte über die lange Wendeltreppe
vor. Im Solarium angekommen, führte die alte Hexe ihre Streitmacht zu
der am Kamin sitzenden Gruppe.
Nanny holte tief Luft.
»Ah, Frau Ogg«, sagte Verence verzweifelt. »Bitte leiste uns Gesell-
schaft.«
Agnes musterte Nanny von der Seite her und beobachtete, wie ein
sonderbares Lächeln in ihrem Gesicht erschien.
Der Graf saß in einem großen Sessel am Feuer, und Vlad stand hinter
ihm. Beide wirkten sehr attraktiv, fand Agnes. Im Vergleich mit ihnen
schien Verence, dessen Kleider ihm nie richtig zu passen schienen und
der immer einen von Sorgen gequälten Eindruck erweckte, fehl am Platz
zu sein.
»Der Graf hat uns gerade erklärt, auf welche Weise Lancre zu einem
Herzogtum seiner Länder in Überwald wird«, sagte Verence. »Uns bleibt
der Titel eines Königreichs erhalten, was ich sehr freundlich von ihm
finde, meinst du nicht?«
»Ein ausgezeichneter Vorschlag«, erwiderte Nanny.
»Natürlich werden wir Steuern erheben«, verkündete der Graf. »Keine
hohen – immerhin wol en wir euch nicht ausbluten, im übertragenen
Sinne!« Er strahlte über den eigenen Scherz.
»Dagegen läßt sich kaum etwas einwenden«, erklang Nannys Stimme.
»Nicht wahr?« erwiderte der Graf. »Ich wußte ja, daß sich al es prima
regeln läßt. Und deine moderne Einstel ung behagt mir sehr, Verence.
Wißt ihr, die meisten Leute haben völlig falsche Vorstellungen von
Vampiren. Sind wir teuflische Mörder?« Er lächelte. »Natürlich sind wir
das. Aber nur dann, wenn es notwendig ist. Offen gesagt: Wir könnten
wohl kaum darauf hoffen, ein Land zu regieren, wenn wir dauernd Leute umbrächten. Ich meine, dann gäbe es bald keine Untertanen mehr!« Höfliches Gelächter erklang, am lautesten vom Grafen selbst.
Für Agnes klang das alles vollkommen
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