Ruht das Licht
wissend und ehrlich, dass ich in diesem Moment alles getan hätte, um ihre Freundschaft zu gewinnen und es noch einmal sehen zu dürfen. Mir fiel wieder ein, was Isabel gesagt hatte: dass Grace gebissen worden war, sich aber nie verwandelt hatte. Ich fragte mich, ob Grace froh darüber war oder ob sie sich um etwas betrogen fühlte.
Und darum fragte ich sie genau das. »Fühlst du dich eigentlich irgendwie betrogen, weil du dich nicht verwandelt hast?«
Ihr Blick wanderte hinunter zu ihrer Hand, die leicht auf ihrem Bauch ruhte, und dann wieder zu mir. »Doch, ich hab mich schon oft gefragt, wie das wohl wäre. Ich hab mich immer ein bisschen fehl am Platz gefühlt. Irgendwie zerrissen. Ich wollte immer – ach, ich weiß auch nicht.« Sie stockte. »Na, gehst du mit dem Staubsauger spazieren, Sam?«
Sam war wieder da und zerrte einen Industriestaubsauger hinter sich her. Er war nur einen Moment weg gewesen, aber es wurde sofort heller im Raum, als sie wieder zusammen waren, wie zwei chemische Elemente, die in Verbindung miteinander zu leuchten anfingen. Angesichts Sams tollpatschiger Versuche, den Staubsauger zu tragen, erschien auf Grace’ Gesicht ein ganz anderes Lächeln, bei dem ich zu erkennen glaubte, dass es nur für ihn reserviert war. Er warf ihr einen gespielt vernichtenden Blick zu, voll von der Sorte Kontext, die nur aus unzähligen geflüsterten Gesprächen im Dunkeln entstand.
Ich musste an Isabel denken, die jetzt zu Hause saß. Wir hatten nicht das, was Sam und Grace hatten. Noch nicht mal annähernd. Und ich konnte mir nicht vorstellen, dass wir je dort ankommen würden, auch nach tausend Jahren nicht.
Plötzlich war ich froh, dass ich Isabel allein auf dem Bett zurückgelassen hatte. Der Gedanke daran, dass ich für jeden, den ich berührte, pures Gift war, tat weh, aber ausnahmsweise war es auch ein gutes Gefühl, mir meiner selbst bewusst zu sein. Die Explosion konnte ich nicht verhindern, aber wenigstens konnte ich lernen, den Schaden zu begrenzen.
GRACE
Mir war unwohl dabei, im Sessel zu sitzen, während Sam und Cole aufräumten. Unter normalen Umständen wäre ich sofort aufgesprungen und hätte ihnen geholfen. Ein dermaßen verwüstetes Zimmer aufzuräumen, stellte ich mir außerdem sehr befriedigend vor, weil man am Ende wirklich das Gefühl hatte, etwas geschafft zu haben.
Aber an diesem Abend konnte ich einfach nicht. Ich schaffte es gerade mal, meine Augen offen zu halten. Es war, als hätte ich den ganzen Tag gegen etwas Unsichtbares angekämpft, das nun langsam die Oberhand gewann. Mein Bauch fühlte sich warm und voll unter meiner Hand an; ich stellte mir vor, dass darin Blut herumschwappte. Und meine Haut war so heiß.
Am anderen Ende des Wohnzimmers arbeiteten Sam und Cole in stiller Eintracht, Cole auf Knien mit dem Kehrblech, während Sam alles auffegte, was zu groß für den Staubsauger war. Irgendwie machte es mich froh, sie so zusammen zu sehen. Wieder dachte ich, dass Beck etwas in Cole gesehen haben musste. Es konnte doch kein Zufall sein, dass er noch einen anderen Musiker hergeholt hatte. Er hätte niemals etwas so Riskantes getan, wie einen berühmten Rockstar anzustecken, wenn er keinen guten Grund dafür gehabt hätte. Vielleicht hatte er gedacht, dass Sam, wenn es ihm gelänge, ein Mensch zu bleiben, mit Cole Freundschaft schließen könnte.
Es wäre gut, wenn Sam einen Freund hätte, falls ich – Im Geist sah ich Coles Gesicht vor mir, als er fragte: Fühlst du dich eigentlich irgendwie betrogen, weil du dich nicht verwandelt hast?
Als ich noch jünger war, hatte ich mir oft vorgestellt, ein Wolf zu sein. Wie es wäre, mit Sam, dem Wolf, fortzulaufen. In einen goldenen Wald, weit weg von meinen abwesenden Eltern und all dem Trubel der modernen Welt. Und dann, als ich glaubte, Sam an den Wald zu verlieren, träumte ich wieder davon mitzugehen. Sam war entsetzt gewesen. Aber jetzt hatte Cole mir endlich die andere Seite gezeigt. Das einzig Wichtige ist der Augenblick und das Rudel. Ich bin dann wie ein Knäuel aus geschärften Sinnen.
Ja.
Es würde nicht nur schlecht sein. Es hatte auch sein Gutes. Den Waldboden unter den Pfoten zu spüren, alles mit ganz neuen Sinnen zu sehen und zu riechen. Zu wissen, wie es war, ein Teil des Rudels zu sein, ein Teil der Wildnis. Vielleicht wäre es gar nicht so schlimm, wenn ich diesen Kampf verlor. Wäre es denn so ein großes Opfer, im Wald zu leben, den ich doch schließlich liebte?
Seltsamerweise musste ich an den
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