Ruht das Licht
nachdenken.
Jetzt wusste ich es.
Ich zog die Tür hinter mir zu und ging den Flur hinunter. Am anderen Ende stand mein Vater, die Arme vor der Brust verschränkt. Ein Stück neben ihm, halb von der Küchentür verdeckt, stand meine Mutter in derselben Haltung. Sie sagten nichts und ich sagte auch nichts.
Ich wollte, dass sie mich anschrien. Ich war bereit zurückzuschreien. Mein ganzer Körper schien innerlich zu zittern.
»Nun?«, sagte mein Vater, als ich auf Höhe der Küche ankam. Das war alles. Nur dieses »Nun?«, als erwartete er, dass ich auf der Stelle all meine Sünden beichtete.
»Wie war die Messe?«, fragte ich.
Mein Vater stierte mich an.
Mom hielt es als Erste nicht mehr aus. »Tu nicht so, als wäre nichts gewesen, Grace!«
»Ich tu überhaupt nicht so«, erwiderte ich. »Ich sage es ganz direkt: Ihr habt mir verboten zu gehen und ich bin trotzdem gegangen.«
Moms Fingerknöchel wurden weiß, so sehr ballte sie die Fäuste. »Du benimmst dich, als hättest du überhaupt nichts falsch gemacht.«
In mir breitete sich eine tödliche Ruhe aus. Es war richtig gewesen, dass ich Sam nicht mit reingenommen hatte; ich hätte nicht so entschlossen auftreten können, wenn er hier gewesen wäre. »Hab ich auch nicht. Ich bin mit meinem Freund zu einem Studio in Duluth gefahren, dann haben wir noch was gegessen und vor Mitternacht war ich wieder zu Hause.«
»Das hatten wir dir aber verboten«, sagte Dad. »Darum war es falsch. Du hattest Hausarrest und du bist trotzdem gegangen. Ich kann einfach nicht glauben, wie sehr du unser Vertrauen missbraucht hast.«
»Ihr übertreibt doch total!«, fauchte ich. Meine Stimme war nicht so laut, wie ich erwartet hatte, sondern klang dünn; der Energieschub, den mir die Heimfahrt mit Sam gegeben hatte, war weg. Ich fühlte meinen Herzschlag in meinem Bauch und meinem Hals, heiß, krank, doch ich kämpfte das Gefühl nieder und hielt meine Stimme ruhig. »Ich nehme keine Drogen, ich bin nicht schlecht in der Schule und ich lasse mir auch nicht irgendwelche wilden Piercings machen.«
»Und was ist mit …« Er konnte es noch nicht einmal aussprechen.
»Sex?«, übernahm Mom für ihn. »In unserem Haus? Was ist damit, wie unglaublich respektlos du dich verhalten hast? Wir haben dir deinen Freiraum gelassen und du –«
Endlich fand ich die Energie, um laut zu werden. »Freiraum? Ihr habt mir einen ganzen Planeten für mich allein gelassen! Ich habe Hunderte und Hunderte von Abenden alleine hier gesessen und darauf gewartet, dass ihr nach Hause kommt. Ich bin eine Million Mal ans Telefon gegangen, um zu hören: ›Ach, es wird ein bisschen später, Schatz.‹ Ich habe mich tausendmal selbst darum gekümmert, irgendwie von der Schule nach Hause zu kommen. Freiraum. Und jetzt habe ich jemanden gefunden, mit dem ich zusammen sein möchte, und ihr kommt damit nicht klar. Ihr –«
»Du bist ein Teenager«, sagte Dad und schnaubte abfällig. Als hätte ich ihn nicht gerade angeschrien. Ich hätte Zweifel bekommen, dass ich auch nur die Stimme erhoben hatte, wenn mir nicht das Blut so in den Ohren gepocht hätte, schmerzhaft, als wollte es mich bestrafen.
Er redete weiter: »Was weißt du denn schon von einer verantwortungsvollen Beziehung? Er ist dein erster Freund. Wenn wir dir glauben sollen, dass du verantwortungsvoll bist, dann beweise es uns. In deinem Alter schon Sex zu haben und dich nicht an ausdrückliche Verbote deiner Eltern zu halten, ist da nicht gerade der richtige Weg. Aber genau das hast du getan.«
»Hab ich«, bestätigte ich. »Und es tut mir nicht leid.«
Dads Gesicht wurde krebsrot, die Farbe stieg von seinem Kragen aus hoch bis zu seinem Haaransatz. Im Licht der Küchenlampe sah er aus, als hätte er sehr, sehr lange in der Sonne gelegen. »Gut, Grace, was sagst du dazu: Du wirst ihn nie wiedersehen. Tut es dir jetzt vielleicht leid?«
»Ach, bitte«, winkte ich ab. Seine Worte klangen wie von weit her und völlig unbedeutend. Ich musste mich hinsetzen – hinlegen – schlafen – irgendwas.
Dads Stimme bohrte sich wie Nadeln in meine Schläfen. »Komm mir nicht mit ›Ach, bitte‹. Das ist mein voller Ernst. Mir gefällt deine Art nicht, seit du mit ihm zusammen bist. Er respektiert uns ganz offensichtlich nicht als deine Eltern. Ich lasse nicht zu, dass du für ihn dein Leben ruinierst.«
Ich verschränkte die Arme vor der Brust, um zu verbergen, dass sie zitterten. Ein Hälfte von mir war hier in der Küche und führte dieses Gespräch,
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