Runenschwert
Rentiermenschen, waren älter als die Zeit, so sagte man, und ihr Zauber war noch fremdartiger als unser Seidr. Sie verehrten eine Trollgöttin, Thorgerda, die mit ihrem Seidr den Donner herunterrief, wie auch Asa-Thor es tat.
» Woher weißt du das?«, fragte ich.
Sighvat grinste. » Ein kleiner Vogel hat es mir erzählt«, sagte er. » Oder vielleicht war es auch eine Biene.«
Finn rollte mit den Augen und schnaubte verächtlich. » Eine Biene. Mit honigsüßen Worten vermutlich?«
Sighvat lächelte nur. » Bienen haben uns viel zu erzählen, Rosskopf. Wenn eine in deine Halle fliegt, bedeutet es Glück oder die Ankunft eines Fremden; aber das Glück wird nur eintreffen, wenn die Biene bleiben darf, bis sie von selbst wieder wegfliegt. Wenn eine Biene auf deiner Hand landet, bedeutet es Geld, auf deinem Kopf bedeutet es, dass du ein großer Mann wirst. Sie stechen jeden, der in ihrer Gegenwart flucht, aber auch Ehebrecher oder Unkeusche – wenn du also eine gute Frau haben willst, dann lass sie durch einen Bienenschwarm gehen, und wenn sie gestochen wird, ist sie keine Jungfrau mehr.«
» Ich wusste, es war ein Fehler, zu fragen«, murmelte Finn und schüttelte den Kopf.
» Und hat diese einzigartige Biene dir auch erzählt, wie wir unsere Rudergefährten retten können?«, fragte ich ungeduldig, denn mir war noch immer übel bei dem Gedanken an die Samin. » Oder wo wir Starkad finden und das Runenschwert zurückbekommen können?«
Eine Lüge. Sie war eine einzige Lüge. Es war mein Fluch – schlimmer noch, es war ein übler Scherz Lokis –, dass ich jeder Hexe, der ich begegnete, an die Angel ging wie ein ahnungsloser Fisch. Und Radoslaw – von ihm hätte ich mehr erwartet …
Sighvat lächelte, er war nicht beleidigt, und ich schämte mich, weil ich so zornig war. » Nein, Händler, aber ich werde fragen.« Er stand auf und ging, der Rabe krallte sich flatternd an seine Schulter.
Kvasir schüttelte den Kopf. » Manchmal jagt mir unser Sighvat mehr Angst als jede noch so unheimliche Hexe ein«, bemerkte er.
Wir marschierten einen weiteren Tag und schlugen unser zweites Nachtlager auf, umgeben vom gedämpften Grollen der Armee – ein schwitzendes Ungeheuer in dunkler Landschaft mit roten Feuerblüten. Das Ende des Zuges war noch nicht angekommen, die Männer kamen noch immer müde aus der Dunkelheit, als Finn und Kvasir bereits auf mich warteten, um mir ihren Plan zu unterbreiten, wie wir aus diesem Schlamassel wieder herauskommen könnten. Ich saß wortlos da und wünschte nur, sie würden verschwinden und mich in Ruhe lassen, denn ich war mit meiner Weisheit am Ende.
Nach einer Nacht konfuser und verstörender Träume war ich am Morgen noch ebenso ratlos. Im fahlen Dämmerlicht saß ich am qualmenden Feuer und legte Zweige und getrockneten Mist nach. Es dauerte etwas, bis mir auffiel, dass alles um mich herum in Bewegung war, die Männer rannten umher wie Ameisen in einem aufgewühlten Nest und redeten aufgeregt durcheinander.
Dann hörte ich das Trompetensignal, und Finn trat kauend neben mich. Er warf mir ein Stück Fladenbrot zu und deutete mit dem Kopf hinüber zu dem Aufruhr.
» Rotstiefel scheint wach zu sein«, sagte er.
Bruder Johannes, der in der Nähe saß, bekreuzigte sich. » Non semper erit aestas«, sagte er, und Finn sah mit ratlos gerunzelter Stirn erst zu ihm, dann zu mir.
» Bereite dich auf schwere Zeiten vor«, übersetzte ich, und er nickte grimmig.
Wir formierten uns, wie die Armee der Großen Stadt immer formiert war: vorn die Fußsoldaten, dahinter die Bogenschützen, an den Flügeln und etwas vorgerückt die leichteren Reiter, sodass das Ganze aussah wie eine sanft geschwungene Kurve, wenn man es aus der Sicht von Sighvats Raben betrachtet hätte.
Dahinter befand sich die zweite Linie, sie bestand aus den Reitern mit den schweren Metallrüstungen, die der Stolz von Miklagards Armee waren.
Wir hatten sie durch das Paulustor in Antiochien reiten sehen, ihre Pferde trugen Lederpanzer, die mit Metallplättchen besetzt waren. Die Pferde der Bogenschützen waren nur an der Vorderseite geschützt, während die Pferde der anderen am ganzen Körper Metallplättchen trugen. Einige der Reiter hatten Lanzen, andere hatten nur Keulen und Schwerter, denn wenn diese Krieger – deren Ausrüstung so teuer war, dass selbst die Große Stadt sich nur tausend von ihnen leisten konnte – sich formierten, dann bildeten sie einen Eberkopf, mit den Bogenschützen in der Mitte, den Lanzen
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