Russisch Blut
gehen, als Köster sich noch einmal umdrehte und sagte: »Wohnt eigentlich noch jemand bei Ihnen im Schloß? Oder haben wir vorhin sämtliche Bewohner erfaßt?«
Katalina sah Alma an. Die starrte vor sich hin. Katalina öffnete den Mund. Aber Alma kam ihr zuvor. »Nein. Mehr als die genannten Personen könnte ich nicht ertragen.« Sie drehte sich um und ging in die entgegengesetzte Richtung ab.
Katalina fand Alma zum ersten Mal beeindruckend.
Teil 3
1
In einer Stadt wie Blanckenburg teilen sich Neuigkeiten in Nanosekunden mit – die Nachricht vom Tod Sigurd Rusts, eines Fremden mit einem Beruf, den die meisten für entbehrlich hielten, verbreitete sich womöglich noch schneller. Katalina wußte, daß der Zeitpunkt gekommen war, an dem sie sich revanchieren mußte: Diesmal verfügte sie über den interessanteren Klatsch und Tratsch.
Nur deshalb klingelte das Mobiltelefon schon seit dem frühen Morgen ohne Pause. Sie bildete sich nicht ein, daß die Schoßtiere Blanckenburgs ohne ihre heilenden Hände nicht mehr sein konnten oder daß alle Tiere zugleich von einem geheimnisvollen Virus befallen worden waren. Man wollte Klatsch hören im Städtchen, Klatsch aus erster Hand. War der Professor von einer Herde tobsüchtiger Pferde zu Tode getrampelt worden? Stimmte es, daß er den Frankens bei einem Betrug helfen wollte? Hatte er womöglich endlich das gefunden, wonach man hier im Harz schon zu DDR-Zeiten gesucht hatte – das Bernsteinzimmer? Alte Rembrandts? Den Schatz der Nibelungen?
Wenigstens den Pferdebesitzern mußte man nicht erklären, daß Pferde niemanden tottrampeln. Allgemein wurde beklagt, daß Katalina nichts über einen Schatz zu berichten wußte, auch von denen, die beim Wort »Nibelungen« guckten, als ob sie es für eine neue Rinderseuche hielten. Keiner aber zweifelte daran, daß Rust nicht Opfer eines Unfalls, sondern eines Mordanschlags geworden war. Und wer steckte dahinter? Natürlich die Frankens und ihre Männer.
Weshalb das zweite Thema des Tages mit ebensogroßer Inbrunst erörtert wurde: die Frage, die die »Brockenzeitung« aufgeworfen hatte, ob der letzte verbliebene Graf von Hartenfels zu Blanckenburg, der einzige noch lebende Sohn, den man 1943 zum letzten Mal im Städtchen gesehen hatte und der, wie man munkelte, in Armut und Verlassenheit im Westen lebte, sein Eigentum mit Aussicht auf Erfolg zurückfordern könnte. Wenn er dann auch noch mit Hilfe modernster Technik den Nibelungenschatz im Schloßbrunnen fände (ja, jener Brunnen mit Geheimgang, der schon bei Merian erwähnt wurde), dann wäre, behaupteten einige, alles wieder gut.
Unter Blanckenburgs Tierhaltern jedenfalls war man sich weitgehend einig, daß die Zeit der Frankens vorbei war.
Nicht jeder wünschte den Grafen zurück. Walter, der Apotheker, bei dem Katalina ein Röhrchen ACC für den verschnupften Kater der alten Frau Schimmeck kaufte, schimpfte auf die »Junker und Kapitalisten«, die die Frechheit besäßen, sich ihren alten Besitz wieder anzumaßen – nach all den Jahren. »Adelspack! Jahrhundertelang am Volk schmarotzt! Der Hitlerbande an die Macht verholfen! Das Weite gesucht, als es ihnen hier zu brenzlig wurde!«
»Der Bruder des Grafen war im Widerstand, Walter, das weißt du doch. Den haben sie in Plötzensee aufgehängt.« Pfarrerin Klara Buddensen, die mit Katalina den Laden betreten hatte, sprach mit dem Apotheker wie mit einem untalentierten, aber gutmütigen Schüler.
»Na und? Noch nicht einmal einen Tyrannenmord haben sie zustande gebracht.«
Katalina ließ die beiden eingespielten Streithähne allein und ging zurück zum Haus der alten Frau Schimmeck, einem Fachwerkbau, der schwindsüchtig zwischen zwei frisch her ausgeputzten Kollegen lehnte. Im Grunde waren den Blanc kenburgern die feineren rechtlichen Probleme der Eigentumsfrage ziemlich egal – viel wichtiger war, daß endlich etwas passierte. Die Älteren jedenfalls kriegten blitzende Augen bei der Vorstellung, der Graf könne tatsächlich zurückkommen. Zu dessen Vaters Zeiten fand man nicht nur Arbeit im Schloß, es hatte auch ein bißchen Glanz in die Gegend gebracht.
Während sie Kaffee kochte und Katalina den Kater verarzten ließ, schwärmte die alte Frau von den Bällen und den eleganten Herrschaften, Theateraufführungen und Konzerten unter freiem Himmel oder vom Erntedankfest, das man bei Grafens jedes Jahr für das gemeine Volk ausgerichtet hatte. Und daß der alte Graf Kunstmäzen gewesen sei und eine bedeutende Sammlung
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