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Russka

Russka

Titel: Russka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Kontrahenten. Als sie ihre Plätze einnahmen, war nichts außer dem leisen Rascheln ihrer Füße in dem kurzen feuchten Gras zu hören. Die Duellanten fixierten einander, zwei Schüsse zerrissen die Luft. Die Sekundanten stürzten mit einem Aufschrei hin zu Sergej. Die Kugel hatte ihn mitten ins Herz getroffen. Seit seiner Jugend war Pinegin für seine Zielsicherheit bekannt. Das war einer der Gründe, warum Alexej ihn immer für gefährlich gehalten hatte. Als Alexej an diesem Nachmittag bei seiner Rückkehr nach Russka hörte, was vorgefallen war, brach er weinend zusammen. Auf seinen Wunsch reiste Pinegin sofort ab.
    Der Brief des Toten bewegte den älteren Bruder zutiefst Sergej bat ihn darin um Vergebung für allen Schmerz, den er der Familie zugefügt habe. Er sagte Alexej offen, wie schwer es ihm gefallen sei, dem Bruder das Exil im Ural, das dieser in die Wege geleitet hatte, zu vergeben, und er dankte ihm für die freundliche Zurückhaltung während der letzten Jahre. Der Brief endete mit der Bitte, Sawa Suvorin freizulassen.
    Du stimmst mir wohl nicht zu, denn Du befolgst die gesetzlichen Regeln hinsichtlich der Leibeigenschaft –, aber ich empfinde es als größte Schuld meines Lebens, daß Sawa Suvorin meinetwegen wieder ergriffen wurde.
    Ich weiß von unserer Mutter, daß er Dir eine große Summe für seine Freiheit geboten hat Wenn Du mich ein wenig liebhast, Alexej, so bitte ich Dich, nimm das Geld an und lasse den armen Kerl dafür frei.
    Alexej las den Brief zweimal. Traurig schüttelte er den Kopf, als er an die Banknoten dachte, die er so viele Jahre zuvor in Iljas Buch entdeckt und versteckt hatte.
    Nach jahrzehntelangem vergeblichen Kampf wurde Sawa Suvorin an diesem Abend ins Herrenhaus gerufen, und Alexej teilte ihm mit mattem Lächeln mit: »Ich habe mich entschieden, dein Angebot anzunehmen, Suvorin. Du bist ein freier Mann.«
    1855
    Sevastopol. Mitunter hatte Mischa Bobrov den Eindruck, daß keiner hier jemals wieder herauskommen werde. Wir sind wie auf einer verlassenen Insel ausgesetzt, dachte er oft. Aber ist von all denen, die die Stadt verteidigen, die in diesem verrückten Krimkrieg kämpfen, einer in einer so seltsamen Lage wie ich, überlegte er. Ich kämpfe hier in Sevastopol ums Überleben, und wenn ich herauskomme, erwartet mich wiederum ein fast sicheres Todesurteil. Zumindest danke ich Gott, daß ich einen Sohn hinterlasse. Sein Sohn Nikolaj war im vergangenen Jahr geboren. Mischas Gefühl, sich in Sevastopol wie auf einer verlassenen Insel zu befinden, war nicht so abwegig. Der große befestigte Hafen lag umgeben von gelbbraunen Hügeln nahe der Südspitze der Krimhalbinsel, nicht weit von der ehemaligen Tatarenhauptstadt Bachtschisaraj entfernt, also ungefähr hundertundfünfzig Meilen außerhalb des russischen Festlandes im Schwarzen Meer. Südlich davon, vor den massiv aufragenden Hafenbefestigungen, lagerten die Streitkräfte dreier europäischer Großmächte – Frankreich, England, Türkei. Seit elf Monaten beschossen sie Sevastopol. Nur die schier grenzenlose Beharrlichkeit und das Heldentum der einfachen russischen Soldaten hatte die Einnahme der Stadt bisher verhindert.
    Was war dieser Krimkrieg doch für ein Wahnsinn! Einerseits war er wohl unvermeidlich gewesen, dachte Mischa. Seit Generationen verlor das osmanische Türkenreich an Bedeutung, und bei jeder Gelegenheit erweiterte Rußland seinen Einfluß in der Region des Schwarzen Meeres. Wenn Rußland jemals die Balkanprovinzen kontrollieren könnte, hätte die russische Flotte freie Durchfahrt vom Schwarzen zum Mittelmeer. Kein Wunder also, daß die übrigen europäischen Mächte Rußlands Hinwendung zur Türkei mit wachsendem Argwohn beobachteten.
    In seiner selbstgewählten Rolle als Verteidiger der Orthodoxie fand der Zar sich im Widerspruch zum Sultan, als dieser in seinem Reich einige Privilegien der orthodoxen Kirche abschaffte. Als Warnung sandte Zar Nikolaus Truppen in die türkische Provinz der Moldau. Die Türkei erklärte den Krieg, und unverzüglich traten die europäischen Mächte in den Krieg gegen Rußland ein. Es gab faktisch drei Kriegsschauplätze: einen an der Donau, wo die Österreicher die Russen einkesselten; einen weiteren im Kaukasus, wo die Russen eine wichtige Festung der Türken nahmen, und schließlich die Krimhalbinsel, den russischen Flottenstützpunkt, den die Alliierten angriffen.
    Es war im Grunde ein Engpaß, wobei beide Seiten sich auf der Halbinsel festgesetzt hatten. Der Typhus

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