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Saat der Lüge

Saat der Lüge

Titel: Saat der Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Jones
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zugezogen hatte, wo auch immer der stattgefunden hatte.)
    Das Medieninteresse war nur deshalb so groß, weil es ein ruhiger Frühling ohne Tragödien gewesen war und weil das Foto, das ihre Mutter der Polizei zur Verfügung gestellt hatte, sehr glamourös, ja geradezu sexy war: Den Kopf mit dem akkurat geschnittenen, glänzenden roten Haar hatte sie kokett der Kamera zugewandt, und es sah ganz danach aus, als sei das Foto auf einer Party entstanden, obwohl wir den Freund, an dessen Hals sie hing, aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen herausgeschnitten hatten.
    Nachdem ich mir so lange wie möglich Zeit dabei gelassen hatte, meine Haare ordentlich im Nacken festzustecken und mir die Lippen in meinem gewohnten Zartrosa nachzuziehen, ging ich davon aus, dass der Currymann verschwunden war. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass er mir wirklich etwas zu sagen hatte. Vielleicht hatte er mich auch gar nicht erkannt. Sein interessierter Blick konnte ein typischer Männerblick gewesen sein: kein Starren des Wiedererkennens, sondern die Anerkennung einer hübschen Frau. Damit musste ich jeden Tag zurechtkommen, und das ohne gleich auf dem stillen Örtchen abzutauchen.
    Als ich wieder aus der Toilette kam, traf es mich daher vollkommen unvorbereitet, dass der Currymann immer noch neben dem Schwarzen Brett bei den orangefarbenen Plastiksitzen herumlungerte, die vom Zigarettenqualm schon ganz stumpf waren. Es war kein Zufall, dass er dort stand. Er lauerte.
    Während ich noch zögerte, sagte er: »Ich kenne Sie.« Er sagte es in vernünftigem, neutralem Ton, in dem keinerlei Unsicherheit lag. Der Satz war die Einleitung zu einem Gespräch, keine Bemerkung im Vorbeigehen. Und er würde mich eindeutig nicht mit meinem beiläufig dahingemurmelten »Ich bin öfter hier« davonkommen lassen.
    »Ich nicht«, erwiderte er und wartete auf eine konkretere Antwort.
    Er trug einen schlecht sitzenden Anzug, der schon bessere Tage und vermutlich auch bessere Besitzer gesehen hatte. Das graue Hemd war am viel zu weiten Kragen mit einer blau-rot karierten Krawatte zusammengezurrt, und das darüberhängende Kinn ging gerade so als glatt rasiert durch. Die widerspenstigen Locken hatte er mit Haargel oder etwas Ähnlichem zu zähmen versucht – ohne Erfolg. Sein penetrantes Aftershave erinnerte mich daran, wie mir als Kind das Old Spice meines Vaters in den Augen gebrannt hatte, wenn ich nach ihm ins Badezimmer musste. Der Currymann war offenbar wegen irgendeines Delikts vorgeladen.
    Bei meiner Arbeit begegnen mir viele Menschen wie er, Menschen, die die Aura der Verdrängten und Verzweifelten umgibt. Sie schmeißen sich für ihre Vorladung in Schale, für die Gnade des Gerichts, obwohl sie wissen, dass die geborgten Kleider, die Krawatten, die sie aus der Sockenschublade hervorgekramt oder von ihren Vätern geliehen haben, seit Jahren aus der Mode sind. Sie wissen, dass ihr Bemühen, ordentlich auszusehen, nur ihre Hilflosigkeit unterstreicht, so als hätten ihre verschlissenen Trainingsjacken und verblichenen Anoraks, die ausnahmsweise zu Hause geblieben waren, einen unübersehbaren Abdruck auf ihnen hinterlassen.
    Kleinlaut oder trotzig müssen sie miterleben, wie die müden und ungeduldigen Vertreter der Justiz über sie tuscheln, obwohl sie doch gar nichts wissen über ihr Leben, ihre Leidenschaften, ihre Demütigungen. Ich weiß das so gut, weil auch ich einst eine von ihnen war. Sie könnten jeder x-Beliebige sein, weil sie in Wirklichkeit niemand sind. Aber das hier war tatsächlich der Currymann.
    »Ich habe Sie doch vor dieser Disco gesehen«, sagte er, und wieder war es keine Frage. »Mit Ihrer versnobten Freundin.«
    »Es tut mir leid, aber ich glaube, Sie verwechseln mich mit jemandem.« Ich teilte ihm mit, dass ich noch zu tun hatte, und versuchte, mich an ihm vorbei durch die schwere Doppeltür zu drängen. Der Wartebereich war zwar leer, aber es war immer irgendwo ein Amtsdiener oder Wachmann in der Nähe, und aus der Cafeteria drang das Geklapper von Geschirr und eine Rauchwolke herüber. Er stellte sich mir in den Weg.
    »An den langen Lulatsch kann ich mich auch noch erinnern. Der war nett. Ein echter Gentleman. Hat mir ’nen Fünfer zugesteckt.« In mir herrschte plötzlich völlige Leere. Ich hatte keine Ahnung, was ich sagen sollte. Am liebsten hätte ich geschrien: Verpiss dich, Alter! Verpiss dich, du armseliges Stück Scheiße! Wie kommst du auf die Idee, dass mich irgendwas, das du zu sagen hast, auch nur im

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