SACHMET - KATZENDÄMMERUNG Band 2 - Horror - Thriller
erst Thomas wieder von seinem Streifzug durch Kneipen und Bars zurückgekehrt war und angesäuselt durch alle Räume stolperte, würde sie ihre ungestörten Nachforschungen vergessen können. Knisternd rauschten die Blätter an ihren scharfen Augen vorbei. ›… so wird der herbeigerufene Gott dir seine Dienste nicht verwehren‹, las sie plötzlich in der Mitte einer Seite. Ein leises Schnurren verriet ihre Freude. Endlich hatte sie ein Kapitel über magische Beschwörungsrituale entdeckt. Doch auch jetzt musste sie noch Ausdauer zeigen, bevor sie auf etwas Nützliches stieß. Sie überflog die Anweisungen für Schutz- und Heilzauber, Verwünschungen und Gegenzauber, die sich aber hauptsächlich um so banale Dinge wie eine reiche Ernte oder günstige Winde drehten. Tascha wollte bereits resigniert aufgeben, als sie das Kapitel ›Die Stimme des Schlafes‹ entdeckte; schwarze und rote Hieroglyphen wechselten sich ab. ›Willst du einem weit entfernten Freund oder Feind eine Mitteilung oder Warnung zukommen lassen, so begebe dich in die Wogen des Nun. Gedenke der allmächtigen Neith, verneige dich vor Hekate, der weisen Göttin der Magie, und nenne den großen Horus bei seinem geheimen Namen, auf dass er Khonsu aussende, in deinen Traumleib zu steigen, um Nachricht, Warnung oder Fluch zu überbringen.‹ Tascha starrte gebannt auf die letzten leuchtendroten Hieroglyphen: ›Warnung oder Fluch‹.
Es war nicht unbedingt das, wonach sie gesucht hatte, aber es war ein Anfang. Sie musste wieder einen Zugang zu Thomas finden. Vielleicht war es gerade der Mangel an gegenseitiger Verständigung, der ihre Beziehung so stark belastete. Vielleicht? Er war es ganz sicher.
Hätte ihre Katzenzunge verständliche Worte formen können, so hätte Tom erfahren, wie verwirrt und sehnsüchtig sie war. Sie hätten sich gegenseitig ihr Leid klagen können. Nie hätte ihr Geliebter auch nur einen Zweifel an ihrem heiligen Band geäußert. Sie wären glücklich. Unzertrennlich. Tascha gab ein leises Stöhnen (Seufzen?) von sich. Das Schicksal hatte ihnen aber einen weitaus steinigeren Weg aufgebürdet. Sie war jedoch bereit, die Herausforderung anzunehmen, noch war es nicht zu spät. Nicht umsonst vereinigte sich mit dem Namen ihrer Stammgöttin Bastet auch der der Sachmet. Und Sachmet – was ›Die Mächtigste‹ bedeutete – war eine kriegerische Löwin, eine unerbittliche Kämpferin. Wenn es Tascha gelang, diese andere Seite ihres göttlichen Erbes in sich wachzurufen, würde nichts und niemand sie aufhalten können.
Ihre Gedanken wirbelten so schnell durcheinander, dass ich nur meist unverständliche Bruchstücke empfangen konnte.
Nachdem sie das Buch unter das Regal geschoben und mit alten Zeitungen zugedeckt hatte, schritt sie entschlossen zum geöffneten Fenster. Eine lang ersehnte alte Kraft durchfloss ihren geschmeidigen Körper. Sie durchquerte das Halbdunkel derart majestätisch, als gelte es, eine Ehrenformation abzunehmen. Nichts an ihren Bewegungen ähnelte denen eines gewöhnlichen Nachtjägers. Tascha war eine Göttin. Die Königin der Katzen.
Das Vordach lag nun wieder im blaugelben Schein des Mondes. Tascha landete geräuschlos auf ihrem Lieblingsplatz und verharrte in einer aufrecht sitzenden Position. Nur das silberne Schimmern ihres Fells verriet, dass es sich bei ihr um keine leblose Steinfigur handelte.
Zwischen den langgezogenen Rissen der Wolken entdeckten ihre Augen den unteren Rand des Sternzeichens des ›Khpesh‹ oder ›Großen Bären‹. Ein kleiner Fleck am hellen Bauch der Nut , dachte sie. Angesichts der Weite des Alls kam sie sich keineswegs verloren vor. Sie war alles andere als winzig. Sie war Bastet, sie war Sachmet. Und sie hatte eine Aufgabe zu erfüllen.
Tascha war sich bewusst, wie wichtig das gesprochene Wort für die Durchführung eines Beschwörungsrituals war. Da ihrem jetzigen Kehlkopf und ihrer Zunge jedoch keine richtige Artikulation gelang, musste sie versuchen, diesem körperlichen Mangel mit geistiger Stärke entgegenzutreten. Ohne große Anstrengung brachen plötzlich Mauern in ihrem Gedächtnis. Tascha erinnerte sich magischer Spruchformeln, die erst Jahrhunderte später in abgewandelter Form Eingang in das berühmte Totenbuch gefunden hatten. Stumm rezitierte sie die heiligen Worte:
O könnt ich in ihrem früheren Glanze
Wieder besitzen die Macht meines Mundes!
Auf dass ich, angesichts dessen, der in Frieden gekommen ist und den Himmel durchquert hat,
Und angesichts
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