Saeculum
presste die Lider zusammen und drückte Iris fester an sich, spürte ihren Herzschlag und seinen eigenen. Noch, dachte er und kämpfte vergeblich gegen die dunkelgraue Hoffnungslosigkeit an, die in ihm aufstieg. Er wollte noch nicht sterben. Aber wenn nicht ein Wunder geschah, würde genau das passieren. Es würde einige Zeit dauern, wenn sie versuchten, Wasser von den Wänden zu lecken, aber am Ende stand dennoch der Tod durch Verdursten. Im Dunkeln, denn das Holz, das herumlag, reichte höchstens noch einen Tag, danach gab es kein Feuer mehr. Kein Licht, keine Wärme. Er drückte sich fest an Iris und schloss die Augen.
»Kann ich kurz allein mit dir sprechen?« Georg. Bastian blickte auf und sah ihn dasitzen, mit Lisbeth im Arm, die lautlos weinte. »Ich brauche einen Rat.«
»Nein!« Lisbeth packte Georgs Arm so fest, dass er zusammenzuckte. »Nein«, wiederholte sie, diesmal ruhiger.
Georg nahm sie in die Arme, sprach leise auf sie ein. Das Wort »vernünftig« war alles, was Bastian verstehen konnte. Lisbeth schüttelte nur den Kopf, immer noch weinend. Nun stimmte auch Alma wieder ein, allerdings deutlich lauter.
Wir alle, dachte Bastian. Wir müssen uns alle mit dem Gedanken vertraut machen, dass es wahrscheinlich vorbei ist. Dass es lang dauern und hässlich werden wird.
Die Einzige, die völlig unbeeindruckt schien, war Doro, die sich gerade wie eine müde Katze streckte. Bis eben hatte sie an dem Steinsarg gelehnt, jetzt stand sie auf und ging auf den Totenschädel zu, den sie alle für Tristrams Kopf hielten. Sie kniete nieder und legte eine Hand auf die Schädeldecke. »Vergebt uns«, sagte sie leise. »Ich weiß, wir stören Euch in Eurer Totenruhe, wir haben das Land betreten, das Ihr verflucht habt, und nun müssen wir büßen. Doch wir sind unschuldig. Und wir sind verzweifelt! Wenn Ihr uns gehen lasst, versprechen wir, Eure Knochen in geweihter Erde zu bestatten, damit Euer Geist Frieden findet.« Sie beugte in einer demütigen Geste den Kopf und verharrte so, offenbar wartend.
Es passierte genau das, was Bastian vermutet hatte.
Nichts.
Er wandte sich ab.
Währenddessen brach Paul mit Carina, Nathan und Mona zu einem weiteren Erkundungsgang auf. Sie nahmen eine der bereits benutzten Fackeln, außerdem alle leeren Behälter, die vorhanden waren.
»Es gibt ein paar kleine Pfützen. Wir werden versuchen, jeden Tropfen aufzufangen.« Sie gingen und es wurde ruhig vor der Gruft, wenn man von Doros monotonen Beschwörungen absah.
Lass sie, wenn es ihr hilft. Bastian leckte sich mit seiner trockenen Zunge über seine trockenen Lippen. Er kämpfte gegen den Durst an, der ihm zunehmend zu schaffen machte. Das letzte Mal hatte er getrunken, kurz nachdem er durch den Schacht hier runtergestiegen war. Seitdem nicht mehr. Er versuchte, Speichel im Mund zu sammeln und zu schlucken, doch das half kaum.
Wie vorhin schon fiel ihm plötzlich das Atmen schwer. Klaustrophobie. Es war, als würde die ganze Welt auf diesem Keller lasten, mit jeder Minute schwerer auf die Mauern drücken und sie alle früher oder später unter sich begraben. Was sie für einen Zufluchtsort gehalten hatten, war in Wirklichkeit eine Falle.
Kein Zufall, hämmerte es in seinem Bewusstsein. Niemals. Etwas hat uns angelockt, eingesperrt, warum auch immer, hält uns gefangen.
Der Fluch.
Am liebsten hätte Bastian seinen Kopf gegen den Fels geschlagen, um diesen Gedanken loszuwerden. Er musste die Nerven behalten, ruhig bleiben. Wenn sie einen Ausweg fanden, dann nur durch Vernunft und logisches Denken. Er riss sich zusammen, atmete tief durch und sah sich um.
Nicht weit von ihm entfernt saßen Georg und Lisbeth, immer noch aneinandergeklammert. Er hielt und streichelte sie, flößte ihr Wasser aus seiner Trinkflasche ein. »Ich liebe dich so, mein Engel«, murmelte er.
»Wir hätten nicht herkommen dürfen. Doro hat uns gewarnt, warum haben wir nicht auf sie gehört?« Lisbeth verbarg ihr Gesicht an seiner Brust und nun liefen auch ihm die Tränen über die Wangen.
»Immerhin«, sagte er mit gepresster Stimme, »gehen wir gemeinsam. Wir werden einander festhalten, ja? Bis es vorbei ist. Du bist das Schönste, was ich in meinem Leben gesehen habe, und du wirst auch das Letzte sein, was ich sehe.«
Bastian drehte den Kopf weg. Das hier ging ihn nichts an. Langsam kam die Müdigkeit, gnädige Müdigkeit. Er rollte sich auf dem harten Boden zusammen und fühlte, wie sein Bewusstsein wegdriftete. Ein wenig schlafen. Und danach -
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