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Säule Der Welten: Roman

Säule Der Welten: Roman

Titel: Säule Der Welten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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schlug sie langsam wieder auf, wendete den Blick von ihr ab und sagte: »Ich habe hier eine eigene Liste. Darauf sind die unschuldigen Zivilisten verzeichnet, die vergangene Nacht von Amandera Thrace-Guiles und ihren Männern getötet wurden.«
    Venera war so sehr auf ihr Szenarium festgelegt, dass sie erst nach einigen Sekunden begriff, was Sarto gesagt hatte. Er hatte sie Amandera Thrace-Guiles genannt. Er hatte nicht vor, ihr Geheimnis zu verraten.
    Und er erwartete, dass sie als Gegenleistung auch das seine für sich behielt.
    Die Ratsmitglieder schrien durcheinander; Guinevera umarmte seine lang vermisste Landsmännin und schämte sich seiner Tränen nicht; August Virilio hatte die Arme verschränkt und schaute deutlich angewidert in die Runde. Auf der Galerie hatte man zu den Schwertern gegriffen, und die Ehrengardisten eilten dorthin, um zum ersten Mal im Leben ihren eigentlichen Auftrag
zu erfüllen. Pamela Anseratte stand niedergeschlagen und mit hängenden Schultern zwischen gestikulierenden Menschen und herumschwirrenden Worten, in der Hand ein Blatt Papier, das ihre Tagesordnung für diese Sitzung gewesen sein mochte.
    Venera berührte das alles nicht, es war wie in weiter Ferne. Sie musste eine Entscheidung treffen, und zwar gleich.
    Jacoby Sartos Augen drohten sie zu durchbohren.
    Sie räusperte sich, zögerte eine letzte Sekunde und griff dann hinter sich.

17
    Treble war bei Tag Musiker, bei Nacht arbeitete er für Bryces Untergrundbewegung. Er hatte immer gewusst, dass er vielleicht eines Tages sein ruhiges Künstlerdasein aufgeben müsste, um für die Sache zu kämpfen - obwohl ihm wie so manch anderem in der Organisation die jüngsten Entwicklungen nicht unbedingt geheuer waren. Bryce und diese dominierende Amandera Thrace-Guiles waren allzu dicke Freunde geworden.
    Im Moment spielte das allerdings keine Rolle mehr. Treble hing hoch oben an der Seitenwand des Justizministeriums von Klein-Spyre an einem Mauervorsprung und war damit bestens platziert, um zu beobachten, wie die Stadt in Anarchie versank.
    Um überhaupt in das Gebäude zu gelangen, hatte er sich als Bittsteller ausgegeben, der sich nach einem inhaftierten Verwandten erkundigen wollte. Sein Auftrag lautete, in einem Aktenschrank im zwölften Stock des Ministeriums gefälschte Unterlagen zu deponieren. Er war den Wachen geschickt ausgewichen und ohne Schwierigkeiten die knarrende Treppe hinaufgestiegen, doch gerade als er es sich im Archiv gemütlich gemacht hatte, waren zwei Dinge gleichzeitig passiert: vor dem halbgeöffneten Fenster hatte knatterndes Gewehrfeuer
eingesetzt, und drei kleine Beamte waren laut redend und lachend auf das Büro zugekommen.
    Deshalb umklammerte Treble jetzt einen verwitterten Steinzapfen, der einmal ein Wasserspeier gewesen sein mochte, und deshalb starrte er wie gebannt auf die Straßen, unter, um und über dem Habitatring. Er wusste kaum, wohin er sich zuerst wenden sollte. Genau über ihm bei den Hafenanlagen von Spyre schwebten Rauchwölkchen. Die Gebäude schwammen dort in der Luft wie Spielzeugtiere in einer Badewanne und bewegten sich nur selten von der Stelle; doch jetzt glitten gleich mehrere von ihnen langsam aufeinander zu und drohten zu kollidieren. Mehrere Schiffe hatten abgelegt. Währenddessen war es auch auf halber Höhe der Habitatfelge im Umkreis des Buridan-Anwesens unruhig geworden. Das Gebäude war so überwuchert von anderen Bauwerken, dass er es gar nicht erkannt hätte, wenn er nicht mit dem Stadtplan vertraut gewesen wäre, aber die Rauchsäule, die sechzig Meter weit senkrecht nach oben stieg, bevor sie abknickte und der Rauch sich langsam in spiralförmigen Schwaden im Innern des Rades verteilte, kam eindeutig von dort.
    Unter ihm auf der Hauptstraße rannten Leute hin und her. Treble, ein stets pflichtbewusster Spion, zog sich hoch, bis er rittlings auf dem Mauervorsprung saß, und schaute auf die Uhr. Dann zog er ein zerschlissenes Notizbuch und einen Bleistiftstummel heraus, benetzte den Stift mit der Zungenspitze, kniff die Augen zusammen und sah sich um.
    Punkt eins: Um vier Uhr vierzehn brachen die Konservationisten unsere Vereinbarung und versuchten, Sacrus an der Besetzung der Hafenanlagen zu hindern. Treble nahm jedenfalls
an, dass die Vorgänge so zu deuten waren. In der hastig hingekritzelten Nachricht, mit der Bryce seine Leute mobilisiert hatte, war von Streitigkeiten während des Überfalls auf Sacrus vergangene Nacht die Rede gewesen, von Plänen, die im Eifer des

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