Säule Der Welten: Roman
seine Entourage ihren Unterkiefer nicht sehen konnten. Sie hatte sich nach Kräften bemüht, die Narbe zu überschminken, außerdem hatte sie sich mit widerwärtigen Chemikalien aus dem Turm das Haar gebleicht, aber wenn jemand von Venera Fanning gehört hatte, könnte er sie erkennen. Ob sich Aday und seine Leute wohl über das Geschehen in der Außenwelt auf dem Laufenden hielten? Diamandis glaubte es nicht, aber sie hatte im Moment keine Vorstellung davon, wie weit ihr Ruf sich verbreitet hatte.
Zu ihren Gunsten sprach, dass Spyres paranoide Gesellschaften untereinander kaum Kontakte pflegten. »Wenn es nach Sacrus geht, soll sicher niemand erfahren, dass sie dich in ihrer Gewalt hatten«, hatte ihr Diamandis eines Abends im Turm erklärt. Sie hatten vor einem offenen Kamin gekauert, in dem ein reich mit Schnitzwerk geschmückter Stuhl munter brannte. »Wenn sie dich entlarven wollen, müssen sie zugeben, dass sie Verbindungen zur Außenwelt unterhalten - und was noch wichtiger ist, sie wollen sicher durch nichts verraten, dass sie den Schlüssel zu Candesce haben. Ich glaube, von denen werden wir keinen Pieps hören, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit.«
Die Arbeiter schlugen die letzten Steine heraus und traten beiseite. Diamandis streckte den Kopf durch den Torbogen. »Die Tür ist da, gnädige Frau. Und das Schloss auch.«
»Sehr schön.« Venera stolzierte an den Arbeitern vorbei. Sie musste sich sehr zusammennehmen, um den Ring nicht nervös am Finger hin und her zu drehen. Das war der sprichwörtliche Augenblick der Wahrheit. Wenn der Schlüssel nicht passte …
Hinter der Ziegelmauer befand sich eine Eingangshalle, die nach fünf Metern an einer großen, eisenbeschlagenen Tür ähnlich der Tür am Buridan-Turm endete. Die Minister drängten sich hinter Venera in die Halle und beobachteten mit Habichtsaugen, wie sie mit ihrem Handschuh den Staub vom Schließmechanismus fegte. »Meine Herren«, sagte sie scharf, »es gibt hier drinnen nicht unbegrenzt viel Luft. Ihre Bedenken bezüglich der Echtheit meiner Identität mögen verständlich sein. Dennoch - schlagen Sie sich Ihre Zweifel aus dem Kopf.« Sie hielt den Siegelring in die Höhe. »Ich selbst bin der lebende Beweis - aber wenn Sie handfeste Symbole brauchen, genügt Ihnen vielleicht das hier.« Sie drückte den Schlüssel in die Vertiefung der Schließanlage.
Nichts geschah.
»Verzeihung.« Diamandis sah sie bestürzt an, und Venera unterdrückte den Wunsch, die Spannung mit einem Witz zu entschärfen. Sie durfte keine Sekunde lang den Eindruck erwecken, als sei ihr Selbstbewusstsein erschüttert. Sie beugte sich über das Schloss und sah, dass sich in der Öffnung im Lauf der Jahre Schmutz abgesetzt hatte. »Eine Bürste, bitte«, sagte sie gelangweilt und streckte eine Hand aus. Nach einer Ewigkeit reichte ihr jemand eine Haarbürste. Sie schrubbte eine Weile eifrig an dem Loch herum, dann blies sie darauf und steckte den Ring noch einmal hinein.
Diesmal wurde sie mit einem satten Klicken belohnt, dann waren von jenseits der Wand rasselnde Schläge zu hören. Die Tür schwang knirschend auf.
»Sie vertreten die Behörde für … Infrastruktur, nicht wahr?«, fragte sie und musterte die Minister mit eisigem
Blick. Aday nickte. »Hmm«, sagte sie. »Nun ja.« Sie drehte sich um und wollte so würdevoll wie die verwöhnte Prinzessin, die sie einmal gewesen war, in die Dunkelheit hinter der Tür hineinstolzieren.
Ein lauter Knall und eine Staubwolke von der Decke brachten sie ins Stolpern. Auf der Galerie brach die Hölle los. Die Minister rannten kopflos hin und her, Menschen schrien wild durcheinander, während das Echo der Explosion allmählich verklang. Hinter Aday ragte eine brodelnde Staubsäule auf, die eben noch nicht da gewesen war.
Venera stand, einen Fuß erhoben, vor der Schwelle, aber man hatte sie vergessen. Überall auf dem Rad schrillten Sirenen, und Soldatenstiefel trampelten über die Pflastersteine. Aus dem Hof war lautes Weinen zu hören; eine Stimme rief um Hilfe.
Sie kehrte, ohne eine Miene zu verziehen, zur Galerie zurück und schaute Aday über die Schulter. »Jemand hat eine Bombe in die Menge geworfen«, sagte sie.
»Es ist schrecklich, ganz schrecklich«, jammerte Aday und rang die Hände.
»Der Anschlag war sicher nicht geplant«, sagte sie sachlich. »Also, wer würde an einem Morgen wie heute mit einer Bombe herumlaufen?«
»Es sind die Rebellen«, rief Aday wütend. »Bombenleger, Mörder … Was für
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