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Säule Der Welten: Roman

Säule Der Welten: Roman

Titel: Säule Der Welten: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Schroeder
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geflutet. Irgendwann hatte man dunkle Strebepfeiler an die glatten weißen Flanken des Gebäudes gelehnt, um das Nachbargebäude zu stützen - Mauern und Bögen hatten es Schicht um Schicht umhüllt und überwuchert, als wäre ihm ein Schuppenpanzer gewachsen. Zunächst war der Blick zum Himmel wohl noch frei gewesen, denn in vielen der umgebenden Gebäude gab es Fenster nach draußen. Doch auch die waren jetzt alle zugemauert. Zuletzt hatte man über den Dächern des Herrensitzes Bögen aus Stein und Schmiedeeisen errichtet, und irgendwann war wohl durch eine Ritze der letzte Sonnenstrahl auf ein einsames Gesimse oder das Auge eines Wasserspeiers gefallen. Dann hatte man auch diese Lücke geschlossen und Buridan endgültig in seiner Kapsel eingesperrt.
    Unverständlich war es nicht. Auf Habitaträdern wie diesem war der Wohnraum begrenzt; da die lebenden
Bewohner den Sitz der Buridans nicht zerstören durften, hatten sie mit großer Entschlossenheit nach anderen Lösungen gesucht.
    Von da, wo Venera stand, führten zwei prächtig geschwungene Pallasit-Treppen nach oben, eine nach links, die andere nach rechts. Sie zog nachdenklich die Stirn in Falten, dann strebte sie dem dunklen Torbogen zu, der dazwischen gähnte wie ein offenes Maul. Der tiefe Staub schluckte das Geräusch ihrer Schritte.
    Oben lagen natürlich die Prunkgemächer, aber die waren vermutlich leer. Außerdem ging sie davon aus, dass ihr die Dienstbotenquartiere mehr über die Sitten und Gebräuche und über die Geschichte der Nation verraten würden.
    Im dunklen Korridor kniete Venera nieder und tastete mit den Händen den Fußboden ab. Dann zog sie eine ihrer Pistolen und entsicherte sie. Angestrengt lauschend und möglichst geräuschlos schlich sie weiter.
    Das Ende des Dienstbotengangs war nicht zu erkennen, aber zu beiden Seiten gab es in regelmäßigen Abständen offene Bögen. Schwarze Rechtecke an den Wänden zeigten an, wo einst Porträts gehangen haben mochten, und hier und da hockten abgedeckte Möbelstücke unter den Pfeilern wie lauernde Gespenster.
    Sie hörte Geräusche, verzerrt, schwer zu deuten. Kamen sie von hinten oder von vorne? Sie schaute zurück; vor dem fernen Rechteck des Eingangs huschten Gestalten hin und her. Aber dieses Scharren … Sie blies die Laterne aus und tastete sich mit den Händen an der Wand entlang.
    Tatsächlich, ein Lichtfächer fiel über den aufgewühlten Staub des Korridorbodens und erzeugte an der
gegenüberliegenden Wand ein Schattentheater von sich bewegenden Figuren. Venera schlich an die Öffnung heran und spähte genau in dem Moment um die Ecke, als jemand von der anderen Seite kam und sie erblickte.
    »He! Da sind sie schon!« Die Frau war jünger als Venera und hatte hohe Wangenknochen und langes, strähniges Haar. Sie war nach Art der Stadtbewohner in schwarzes Leder gekleidet. Venera versperrte ihr den Weg und hielt ihr die Pistole dicht vor das Gesicht.
    »Keine Bewegung!«
    »Lockvögel!«, rief jemand.
    Venera wusste nicht, was ein »Lockvogel« war, aber sie brüllte trotzdem: »Nein! Ich bin die neue Besitzerin dieses Hauses.«
    Die Frau mit dem strähnigen Haar schielte auf den Pistolenlauf. Venera warf einen raschen Blick an ihr vorbei. Ein langgestreckter, niedriger Raum, der ursprünglich ein Weinkeller gewesen sein mochte. An strategischen Stellen brannten Laternen. Es war eindeutig ein Versteck: das Licht fiel auf Feldbetten, mehrere Kistenstapel und sogar zwei Tische, auf denen Landkarten ausgelegt waren. Ein halbes Dutzend Menschen rannten hektisch hin und her, rafften irgendwelche Dinge an sich und strebten damit einem Ausgang in der hinteren Wand zu. Etliche andere zielten mit Waffen auf Venera.
    »Aha.« Sie schaute auf der anderen Seite an dem Kopf mit dem strähnigen Haar vorbei. Die Männer mit den Waffen sahen einen der Ihren fragend an. Obwohl er etwa im gleichen Alter war, hob er sich mit seinen blitzenden Augen und dem ironischen Halblächeln von den übrigen Jugendlichen ab wie ein Professor von seinen
Studenten. »Hallo«, sagte Venera zu ihm, zog ihre Pistole zurück und steckte sie ins Halfter. Die Überraschung auf seinem Gesicht bereitete ihr eine gewisse Genugtuung.
    »Sie sollten sich mit dem Packen beeilen«, sagte sie, bevor irgendjemand reagieren konnte. »Sie werden jeden Moment hier sein.«
    Die Waffen blieben auf sie gerichtet, aber nun trat der selbstbewusste junge Mann vor und blinzelte sie über den Lauf seiner Pistole hinweg an. Er hatte einen

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