Säule Der Welten: Roman
nur als ihr Spielzeug, aber sie teilten sie mit Wesen, die weit mächtiger und weiser waren als sie selbst. Es war ein Leichtes für sie, Habitate wie Spyre zu bauen - doch dafür verbrauchten sie zu viel von Virgas Rohstoffen. Dagegen protestierten die Maschinen. Ein Krieg von unvorstellbarer Grausamkeit brach aus; Virga dröhnte wie eine Glocke; seine Hülle erhitzte sich bis zur Rotglut, und die empfindlichen Lebensformen, die von den Menschen ausgesät worden waren, gingen zugrunde.
»Lächerlich!«, hatte sie gesagt. »Das kann nicht alles gewesen sein.«
Spyre wurde zur Festung der Partei der Menschen, erklärte er. Von hier aus wurde der Feldzug geführt, bei dem die Maschinen schließlich unterlagen. Verbittert zogen sie ab und errichteten eine eigene Siedlung am anderen Ende des Sonnensystems. Einige aber blieben. In entlegenen, kältestarren, sonnenlosen Ecken der Welt schliefen ihre vergessenen Soldaten. Über die Jahrhunderte lagerten sich Staub und Schimmel auf ihnen ab, bis man sie leicht für Asteroiden halten konnte. Einige hingen wie gefrorene Fledermäuse, wie Eisberge mit blinden Augen an der Hülle der Welt. Wem es gelänge, sie zu wecken, dem könnten sie Kräfte schenken, die die kühnsten Träume der Menschen überträfen; oder er brächte Tod und Verderben über die ganze Welt.
Die Menschen bauten Virgas Ökologie allmählich wieder auf, aber sie hatten viel von ihrer göttergleichen Macht eingebüßt. Von der Vergangenheit wollten sie nichts mehr wissen. Dutzende von Nationen entstanden, im schwarzen Abgrund erwachten neue heiße Sonnen zum Leben.
Dann kamen Gerüchte auf von seltsamen Veränderungen in den kalten interstellaren Wüsten … Von einer neuen Macht, die sich ausbreitete wie die Wellen in einem Teich. Sie kam aus ihrer alten Heimat und hatte viele Namen, aber der aussagekräftigste war »Künstliche Natur «.
»Aha«, sagte Venera. »So ist das also.«
Sie machten ihre Runden, während Diamandis erzählte. Jeder ihrer Streifzüge begann und endete im zentralen Atrium des alten Gebäudes. Hier begrenzten hohe Torbögen einen achtseitigen Lichthof, der sich über fünfzehn Stockwerke bis hinauf zu der glitzernden
Buntglaskuppel über dem Gebäude fortsetzte. Ringsum spielten bernsteingelbe und limonengrüne, rosafarbene und indigoblaue Lichtflecken über Galerien, die sich bis in schwindelerregende Höhen übereinandertürmten.
Als sie am zweiten Tag die oberen Stockwerke erkundeten, stießen sie auf Spuren einer Geschichte, die Garth Diamandis nicht kannte. Venera steckte gerade den Kopf in einen Schrank, als sie ihn vor Schreck aufschreien hörte. Sie lief zu ihm. Er kniete neben der gepanzerten Gestalt eines Mannes. Der Leichnam war uralt, eingeschrumpft und vom Wind ausgedörrt. Ein Schwert lag neben ihm. Und im nächsten Raum fanden sich weitere Tote.
Das Ende dieser Menschen war von grausiger Dramatik gewesen. Ein Dutzend mumifizierte Soldaten lagen da, wo sie in einem erbitterten Kampf gefallen waren. Schusswaffen und Klingen waren zwischen längst ausgetrockneten schwarzen Pfützen verstreut. Die Verteilung der Leichen ließ darauf schließen, dass es sich um Angreifer und Verteidiger handelte; Venera war neugierig geworden und folgte dem Weg, den die Eindringlinge genommen haben mussten.
Hoch oben im Turm hinter einer verbarrikadierten Tür ruhte auf den verschimmelten Kissen eines riesigen Himmelbetts eine schwarz verfärbte menschliche Gestalt. Das weiße Spitzenhemd der Mumie flatterte immer noch im Wind, und Venera zuckte jedes Mal, wenn sie es sah, erschrocken zusammen.
Sie durchsuchte den Raum systematisch, während Diamandis nachdenklich vor der Leiche stand. In Schubladen und Vitrinen waren all die Dokumente und Urkunden
verwahrt, die sie zum Beweis ihrer Identität brauchte. Sie fand sogar einen Stammbaum und Fotografien. Auch die besten Kleidungsstücke lagerten hier, und an diesem Abend begann Venera, anstatt sich eine Geschichte anzuhören, selbst eine zu erfinden - die Geschichte einer generationenlangen Belagerung, einer selbst gewählten Verbannung, die schließlich von einer gewissen Amandera Thrace-Guiles, der letzten Angehörigen der Nation, beendet wurde.
Langsam schälten sich Einzelheiten aus der Dunkelheit. Venera stand auf Kopfsteinpflaster in einem früheren Burghof vor der säulengeschmückten Fassade des Hauses Buridan. Schwarze Fenster schauten auf sie herab; früher wäre das Sonnenlicht in die prächtigen Säle dahinter
Weitere Kostenlose Bücher