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Sag niemals STIRB

Sag niemals STIRB

Titel: Sag niemals STIRB Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Ort?
    Ort, an dem wir ihn finden …
    „Wen?“, rief sie.
    Verzweifelt starrte sie zu den Ästen hinauf, die sich über ihr spannten. Und dann sah sie die gewaltige Silhouette, die wie eine Haiflosse zwischen den Bäumen hochragte.
    Es war das Heck eines Flugzeugs.

12. KAPITEL
    Willy ging näher heran. Allmählich erkannte sie unter der Tarnung von Bäumen und Unterholz die Überreste eines Flugzeugs. Ranken schlängelten sich über zerfetztes Metall. Rumpfverstrebungen streckten sich vom Dschungelboden aus dem Himmel entgegen, nackt und bloß wie die gebleichten Rippen eines toten Tieres. Willy blieb stehen, und ihr Blick wurde zu dem Heck in den Ästen über ihr gezogen. Rost und tropischer Verfall hatten die Markierungen ausgelöscht, aber Willy konnte noch die Seriennummer ausmachen: 5410. Dies war Air America Flug 5078. Abflugort: Vietniane, Laos. Endpunkt: eine zerrissene Baumkrone in einem nordvietnamesischen Dschungel.
    In der Stille des Waldes senkte sie den Kopf. Ein dünner Sonnenstrahl schnitt durch die Zweige und tanzte zu ihren Füßen. Und um sie herum erhoben sich die Bäume wie die Mauern einer Kathedrale. Wie passend, dass dieser rostige Altar des Krieges an einem Ort von solch ungetrübtem Frieden zur Ruhe gekommen war.
    Tränen standen in ihren Augen, als sie sich endlich dazu zwang, den Rumpf zu betrachten – was davon noch vorhanden war. Das meiste der Verschalung war verbrannt oder verrottet, sodass nur etwas Bodenund einige brüchige Verstrebungen übrig geblieben waren. Die Tragflächen fehlten vollständig … wahrscheinlich bei dem Aufprall abgerissen. Sie schob sich zu den Überresten des Cockpits vor.
    Sonnenlicht funkelte durch die zerbrochene Windschutzscheibe. Die Fluginstrumente waren ausgeweidet. Verkohlte Drähte hingen aus Löchern im Instrumentenbrett. Willys Blick wanderte zu der Kuppel, die von Kugellöchern durchsiebt war. Sie strich mit den Fingern über das zerstörte Metall und zog sich dann zurück.
    Als sie einen Schritt zurücktrat, hörte sie eine Stimme sagen: „Es ist nicht viel übrig geblieben. Aber das gleiche könnte man wahrscheinlich auch von mir sagen.“
    Willy wirbelte herum. Und erstarrte.
    Er kam aus dem Wald. Ein Mann in Lumpen, der auf sie zuging. Es war der Gang, den sie erkannte, nicht der Körper, der völlig abgezehrt war. Schon gar nicht das Gesicht.
    Ganz sicher nicht das Gesicht.
    Er hatte keine Ohren, keine Augenbrauen. Was von seinen Haaren übrig war, wuchs in gequälten Büscheln. Er kam bis auf ein paar Meter an sie heran und blieb stehen, als hätte er Angst, ihr zu nahe zu kommen.
    Sie sahen einander an, sprachen nicht, wagten es vielleicht nicht zu sprechen.
    „Du bist erwachsen“, sagte er endlich.
    „Ja.“ Sie räusperte sich. „Das bin ich wohl.“
    „Du siehst gut aus, Willy. Wirklich gut. Bist du schon verheiratet?“
    „Nein.“
    „Du solltest es sein.“
    „Ich bin es nicht.“
    Eine Pause. Beide blickten zu Boden, blickten wieder hoch, Fremde, die nach einem Stück Gemeinsamkeit suchten.
    Leise fragte er: „Wie geht es deiner Mutter?“
    Willy blinzelte gegen eine neue Woge Tränen. „Sie … stirbt.“ Sie verspürte eine nicht tröstliche Vergeltung bei dem geschockten Schweigen ihres Vaters. „Krebs“, fuhr sie fort. „Ich wollte vor Monaten, dass sie zu einem Arzt geht, aber du weißt, wie sie ist. Denkt nie an sich selbst. Nimmt sich nie die Zeit …“ Ihre Stimme brach, erstarb.
    „Ich hatte keine Ahnung“, flüsterte er.
    „Wie denn auch? Du warst ja tot.“ Sie blickte zum Himmel hinauf und lachte plötzlich, ein hässlicher Laut in diesem stillen Kreis von Bäumen. „Es ist dir nie in den Sinn gekommen, uns zu schreiben? Ein Brief aus dem Grab?“
    „Es hätte alles nur schwerer gemacht.“
    „Schwerer als was? Als es schon war?“
    „Wenn ich tot war, war Ann frei und konnte weitermachen“, sagte er. „Sie konnte einen anderen finden. Einen, der besser war für sie.“
    „Aber sie hat es nicht getan! Sie hat es nie verstanden! Sie konnte immer nur an dich denken.“
    „Ich dachte, sie würde vergessen. Ich dachte, sie würde über mich hinwegkommen.“
    „Du hast falsch gedacht.“
    Er senkte den Kopf. „Es tut mir leid, Wilone.“
    Nach einer Pause sagte sie: „Mir tut es auch leid.“
    Ein Vogel sang in den Bäumen. Seine süßen Töne zerschnitten die Stille zwischen ihnen.
    Sie fragte: „Was ist mit dir passiert?“
    „Du meinst das?“ Er deutete vage auf sein Gesicht.
    „Ich meine

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