Saga von Dray Prescot 30 - Pandahem-Zyklus 04 - Die Klauen von Scorpio
Weg freizumachen. Dann zog ich die Zügel an und hockte vorgebeugt da, das Gesicht unter dem Hut verborgen. So schaute ich in die Runde.
Eine Horde Zorcareiter trabte vorüber. Ein Schwarm wehender Mäntel, gefiederter Hüte, das dunkle Schimmern von Waffen, ein eng zusammenhaltender Reitertrupp mit wichtiger Aufgabe.
Die Männer drängten sich um die Gestalt eines Mädchens; im Vorbeireiten fiel das Licht einer Fackel auf das Gesicht unter dem Hut. Also ein von Bewaffneten eskortiertes Mädchen. Es gibt zweierlei Eskorten – zum Schutz und zur Bewachung.
Mein Eindruck war nur ganz flüchtig, schnell vergangen wie eine Schneeflocke, die in ein Feuer fällt – doch nahm ich ein schön geformtes bleiches Gesicht mit aufgerissenen dunklen Augen wahr. Der Ausdruck auf diesem Gesicht – und ich konnte mich irren – zeigte Hingabe, eine Art innere Konzentration, die die Umwelt völlig ausschließt. Ich schüttelte die Zügel und ließ Frupp im Schritt die Richtung zum Tempel einschlagen.
Der Zorcatrupp bog in die Nebengasse ein.
Als ich die Mündung dieser Gasse erreicht hatte, waren die Reiter bereits verschwunden.
Einige Männer, die der Kavalkade Platz gemacht hatten, setzten ihren anscheinend ziellosen Spaziergang fort. Etwa die Hälfte davon war beritten, so daß ich nicht weiter auffiel, als ich mich mit Frupp der allgemeinen Bewegung anschloß. Wir umrundeten das Gebäude, auf dessen anderer Seite die Leute im Schatten unter einem Vorbau verschwanden, der von einem verwitterten Torbogen gestützt wurde. Ich kehrte nicht um.
In kleinen Unterständen, die sich seitlich aufreihten, wurden die Reittiere untergebracht; Stallburschen in braunen Tuniken griffen nach den Zügeln, während die Ankömmlinge abstiegen und das Gebäude betraten. Wortlos verließ ich ebenfalls den Sattel, übergab die Zügel einem bösartig aussehenden Burschen und folgte den übrigen. Lässig drehte ich meine Jacke nach außen, so daß das Braun mit dem dick bestickten silbernen Saum sichtbar wurde. Ringsum blinkte das Braun und Silber drohend im Licht von Fackeln.
Begleitet von dem zuckenden unsicheren Licht durchquerten wir die Vorhalle, die jedem zufällig Hereinschauenden mit Schuttresten und geborstenen Pfeilern verkündet hätte, daß dieses Bauwerk verlassen und leer war. Nun wurden überall die silbernen Masken hervorgeholt. Das Licht spiegelte sich auf den silbernen Stirnen, auf silbernen Schnurrbarthaaren, auf den silbernen Leem-Gesichtern, die von einer urzeitlichen Wildheit waren.
Dankbar zog ich mir die Silberne Leem-Maske über das Gesicht. Wenigstens konnte ich mir hier die schmerzvolle Mühe sparen, über längere Zeit hinweg ein anderes Gesicht zu zeigen.
Hinter dem Portal in der gegenüberliegenden Mauer, bewacht von Männern, die sich bereithielten, Unerwünschte abzuwehren, wandten sich die Besucher nach links und wieder nach rechts und erreichten schließlich den Zuschauerraum. Licht fiel auf den Vorhang, der die Bühne verhüllte. Der Boden war sauber gefegt. Die Menschen standen grüppchenweise zusammen; sie warteten und unterhielten sich leise. Ich schob mich zur Seite vor; mein Ziel war einer der kleinen Ausgänge unter den Seitenbalkonen. Besonders fiel mir auf, wie wenig man sich bemühte, das Ereignis wirklich geheimzuhalten. Trotz der Wächter, trotz des offenkundigen Versuchs, dem Theater das Aussehen einer verlassenen Ruine zu geben, benutzten die Leem-Freunde diesen Ort mit einer geradezu unverschämten Anmaßung. Sie kamen hier zusammen, und sollte ein Außenstehender sie dabei beobachten, blieb ihm nur eines übrig – den Mund zu halten oder unter den Folgen zu leiden.
Plötzlich waren auf der anderen Seite des Zuschauerraums protestierende Stimmen zu vernehmen, und man lief aufgeregt durcheinander. Ich blieb unter einem Balkon stehen und schaute hinüber.
Gleich darauf erreichte die Ursache der Aufregung auch eine dicht bei mir stehende Gruppe von Männern und Frauen, die sich offensichtlich verärgert und heftig gestikulierend äußerten, ohne eine gewisse Disziplin fahren zu lassen.
»Wie enttäuschend!« protestierte eine Frau.
»Morgen, meine Liebe. Wir kommen morgen wieder.«
Die ersten Leute verließen den Saal.
Unauffällig näherte ich mich der Gruppe, auch wenn ich nicht fragen mußte, was geschehen war, denn der Mann der Frau wandte sich an mich und sagte: »Der Strom hat die Feier für heute abend abgesagt. Er nennt keinen Grund; aber offensichtlich ist er müde, außerdem
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