Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
anfassen durfte und alles so bleiben musste, wie es war, aber ich glaube gesehen zu haben, dass es sehr alt ist und trotzdem nicht im Geringsten beschädigt war.«
»Ich verstehe«, sagte Mabel, deren journalistischer Jagdinstinkt erwacht war. »Man würde erwarten, dass sich bei einem Aufprall aus großer Höhe Blätter gelöst hätten, das Buch offen zu Boden gefallen wäre, der Umschlag beschädigt oder die Ecken der Buchdeckel umgeknickt wären … Ich muss zugeben, dass deine Bedenken durchaus plausibel klingen. Was wirst du tun?«
»Ich will mich in dem Container noch mal genauer umsehen und mit dem Gerichtsmediziner sprechen. Anschließend gehe ich zu Lorenzo Castilla von der Spurensicherung.«
»Lass dir aus meiner schmerzlichen Erfahrung sagen, dass es den Kirchenoberen nicht gefallen wird, wenn du dich da einmischst.«
»Das kann ich mir denken«, gab er ihr Recht. »Während meiner Unterhaltung mit dem Mann von der Regionalpolizei kam der Bischof. Er hat ihn mehr oder weniger unverhüllt aufgefordert, die Sache unter den Teppich zu kehren, auf jeden Fall aber dafür zu sorgen, dass keinerlei Aufsehen erregt wird.«
»Ein einfacher Unfall würde höchstens mit fünf Zeilen im Lokalteil abgehandelt, und vielleicht würde man ihn noch in der Gesellschaftsspalte bringen, weil der Vater des Opfers ein im ganzen Land bekannter Geschäftsmann ist«, erläuterte Mabel. »Sollte deine Theorie hingegen stimmen und Begoña Ayllón einem Mord zum Opfer gefallen sein, würde das natürlich Wellen schlagen und Schlagzeilen machen.«
»Ich erwarte, dass du dich an dein Versprechen hältst«, erinnerte er sie. »Im Augenblick sind das lediglich Spekulationen, für die jeglicher Beweis fehlt.«
»Bei so was täuschst du dich nie, Sebas«, sagte sie ernsthaft. »Sofern sich deine Theorie bestätigt, würde ich die Geschichte gern bringen. Ich verspreche aber, dass ich mich ganz da raushalte. Sollte sich herausstellen, dass man Begoña Ayllón umgebracht hat, würde ich dich um dein Einverständnis bitten, darüber zu berichten.«
»Hast du den Bischof gesehen?«
»Na klar«, bestätigte sie. »Ich wäre fast zu einem Eiszapfen erstarrt, während ich da vor der Kathedrale gewartet habe.«
»Und weißt du auch, wen er bei sich hatte?«
»Selbstverständlich«, sagte sie, erfreut, ihm von Nutzen sein zu können. »Der Mann heißt Mieszko Pavlovic. Offiziell ist er Pressesprecher des Bischofs und seine rechte Hand, aber das ist nur Tarnung. In Wahrheit gehört er dem Nachrichtendienst des Vatikans an und ist als Beauftragter der apostolischen Nuntiatur in Madrid hierher nach Barcelona abgeordnet worden. In Journalistenkreisen kennt man ihn als den ›Spion des Papstes‹.«
»Glaubst du, dass die einen Verdacht haben?«
»Bestimmt nicht«, sagte sie mit Entschiedenheit. »In dem Fall würde es in der Sagrada Familia von Leuten des vatikanischen Nachrichtendienstes nur so wimmeln. Die wollen einfach Einfluss darauf nehmen, welche Mitteilungen an die Medien gehen, damit die Angelegenheit nicht außer Kontrolle gerät.«
Munárriz versuchte den Fall in den Hintergrund zu schieben und den Augenblick zu genießen. Er war weder daran gewöhnt, in Gesellschaft und in aller Ruhe zu frühstücken, noch daran, dass man ihn bei Tisch bediente und sich seine Sorgen anhörte. Mabel im Hause zu haben sagte ihm zu, und so brachte er ihr auch Vertrauen entgegen.
Sie räumte das Frühstücksgeschirr in die Spülmaschine und ging duschen. Obwohl Sonntag war, hatte sie Dienst und wurde zu einer Redaktionskonferenz über Kinderkriminalität in Barcelona erwartet. Sie wollte auf jeden Fall pünktlich sein, sonst hätte sie ihm vorgeschlagen, erneut ins Bett zu gehen und sich die Zeit so zu vertreiben, als ob es keine Probleme gäbe. Doch die Pflicht rief. Als sie in ein Badelaken gehüllt aus der Dusche kam, brach sich das Licht in zahlreichen Wassertröpfchen auf ihrem Gesicht.
»Ich geh auf dem Rückweg schnell bei mir vorbei und hol ein paar Sachen«, sagte sie, ohne ihn zu fragen, ob er einverstanden war. »Ich könnte dann ein paar Tage hierbleiben.«
Erfreut nickte Munárriz. Er wusste, dass er an ihrer Seite glücklich war.
Für Besucher wurde die nach wie vor unvollendete Kathedrale Sagrada Familia um neun Uhr geöffnet. Die Angehörigen mehrerer japanischer und amerikanischer Reisegruppen liefen bereits ungeduldig vor der Fassade auf und ab, während ihre Führer Vorträge über die Wechselfälle beim Bau des
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