Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
Nachtgebet, in dem vierzehn Schutzengel vorkommen.«
»Und die Quersumme von vierzehn ist fünf, die Zahl des Parks Güell«, warf Munárriz rasch ein.
Grau lächelte zufrieden.
»Sogar wenn man diese Theorie gelten ließe, würde das an der Beziehung zur Alchemie nichts ändern. Im Märchen Hänsel und Gretel geht es um die Notwendigkeit, den Geist zu schärfen, den rechten Weg zu finden, der zur Weisheit führt, zur Quintessenz. Es ist ein verschlüsselter Bericht von den Mühen des in seinem Labor eingeschlossenen Adepten, der unermüdlich nach dem Stein des Weisen sucht.«
Munárriz folgte diesen Ausführungen verblüfft und unverkennbar gefesselt.
»Ich habe in meiner Bibliothek zwei dicke Bände mit der alchemistischen Ausdeutung von Märchen«, erklärte Grau. »Sofern Sie das Thema interessiert, kann ich sie Ihnen gern einmal leihen.«
»Nein, vielen Dank.«
Inzwischen hatte Munárriz mehrere Seiten seines Blocks mit Notizen bedeckt. Er ging sie nacheinander durch und murmelte leise vor sich hin: »Geheimnisvolle Steinmetze, Templer, alchemistische Symbole, eine goldene Zahl zur Umwandlung unedler Metalle in Gold, bewusstseinserweiternde Drogen …« Dann sagte er laut: »Aber bei all dem gibt es keinen einzigen handfesten Beweis, kein Dokument, das Gaudís Beziehung zum Templerorden belegt. Ich kann meine Ermittlungen unmöglich auf bloße Vermutungen stützen.«
»Gewiss«, gab ihm Grau Recht, »wir haben keine Beweise auf Schwarz und Weiß. Sofern sie existierten, sind sie bei der Plünderung der Krypta der Sagrada Familia in den Wirren des Bürgerkriegs verloren gegangen. Aber wir verfügen über steinerne Dokumente, für die ich Ihnen eine Fülle von Beweisen geliefert habe.«
»Ich weiß nicht recht«, zögerte Munárriz.
»Glauben Sie mir«, bat ihn Grau erneut. »Gaudís Denken findet sich in seinem Werk. Wie wollen Sie sonst erklären, dass die Wagenremise im Park Güell rechts von der Haupt-Freitreppe eine genaue Nachbildung von San Pedro de Roda ist?«
»Das Kloster in der Provinz Gerona?«
»Ja. Übrigens befand sich der Gral der Überlieferung nach einst auch dort. Die Krypta der Colonia Güell«, fuhr er fort, »bildet symbolisch den Berg Montserrat nach, einen weiteren der Orte in Katalonien, die der Legende nach den Gral gehütet haben. Übrigens hat sich auch Richard Wagner dieser Lesart angeschlossen.«
»All das liegt genau auf der Ebene dessen, was Sie vorher gesagt haben«, hielt Munárriz dagegen. »Nichts davon ist beweiskräftig.«
»Würde ein Datum Sie überzeugen?«
»Probieren Sie es.«
»Auf der Bank des Parks Güell«, begann Grau, der allmählich zu ermüden schien, »findet sich der Buchstabe ›M‹ in unterschiedlicher Gestalt, und zwar mit einer Krone darüber als Symbol der Jungfrau Maria. Eins dieser ›M‹ besteht aus den Ziffern eins, zwei und neun, während die aus ihrer ursprünglichen Lage verschobene Krone als Null dargestellt ist. Einer der Experten, die sich gründlich mit Gaudís Werk auseinandergesetzt haben, hat diese vier Ziffern als 1209 gedeutet – das Jahr, in dem der Kreuzzug gegen die Katharer begann.«
»Mitunter heißt es, die Katharer hätten den Gral in ihrer Burg Montségur aufbewahrt.«
»So ist es«, sagte Grau, dankbar, dass ihm die Kenntnisse seines Gastes weitere Erklärungen ersparten. »Darüber hinaus aber enthält dies Datum noch eine tiefere Symbolik, denn man kann die Neun durch einfaches Umdrehen in eine Sechs verwandeln, womit wir im Jahre 1206 wären, in dem der heilige Dominikus aus dem angesehenen Geschlecht der Guzmán zum Kampf gegen die Irrlehre der Katharer den Predigerorden gründete. Dieser Kampf verzeichnete seinen ersten Erfolg am 22. Juli 1209 mit der Einnahme der Stadt Béziers …«
»Ich muss gestehen, dass es da in der Tat viele Übereinstimmungen und zahlreiche Belege für Ihre Theorie gibt«, sagte Munárriz. »Trotzdem fällt es mir schwer, das alles für bare Münze zu nehmen.«
»Vor einer Weile«, erinnerte ihn Grau mit gerunzelter Stirn, »haben Sie, um zu bestreiten, dass Gaudí dem Templerorden angehört haben könnte, gesagt, dieser Orden sei im 14. Jahrhundert aufgelöst worden.«
»Ja.«
»Dabei handelt es sich um eine unbestreitbare historische Tatsache«, gab Grau zu. »Ebenso unbestreitbar ist aber auch, dass mit der Auflösung zwar der Orden verschwand, nicht jedoch seine Mitglieder. Viele Templer fanden Zuflucht in anderen Ordensgemeinschaften oder gründeten neue. In Aragonien und
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