Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
meines Architekturstudiums eine Facharbeit über Gaudís Werk verfasst habe«, sagte er wie zu sich selbst, »habe ich kein anderes Ziel gekannt, als sein Denken zu verstehen und in seine Seele einzudringen.«
Er wandte sich um und sah zu Munárriz hin, der fortfuhr, sich Notizen zu machen.
Die Haushälterin klopfte leise und schob die Türflügel auseinander, um ihrem Herrn mitzuteilen, dass zum Mittagessen gedeckt sei. Grau nickte.
»Leisten Sie mir doch bei Tisch Gesellschaft, Señor Munárriz«, bot er ihm liebenswürdig an.
»Danke, aber ich möchte Sie nicht weiter behelligen. Sie hatten mit mir eine Engelsgeduld.«
»Das Thema liegt mir nun einmal am Herzen«, sagte Grau mit einem Lächeln, »und ich verbreite mich gern darüber, wenn jemand bereit ist, mir zuzuhören.«
»Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet.«
»Sie dürfen mich jederzeit anrufen, wenn Sie weitere Angaben oder Erklärungen benötigen … Es ist ein so weites Feld.«
Munárriz drückte ihm die Hand, und die Haushälterin begleitete ihn zum Ausgang. Als er ins Freie trat, spürte er, wie ihn eisige Kälte überlief.
8
A n ihrem Schreibtisch ging Mabel eine ganze Reihe von Artikeln durch, die ihr das hauseigene Archiv der Zeitung La Vanguardia zur Verfügung gestellt hatte. Bisher war ihre Suche nach früheren Fällen, bei denen man eine Leiche ohne Papillarleisten aufgefunden hatte, erfolglos geblieben. Obwohl sie mehrere eingrenzende Suchwörter eingegeben hatte, war auf dem Bildschirm so gut wie jedes Mal die Meldung »kein Ergebnis« erschienen, oder die Ereignisse, über die berichtet worden war, lagen viele Jahre zurück und passten nicht zu ihrem Suchprofil. Da nützte es ihr auch herzlich wenig, dass man alle früheren Jahrgänge der Zeitung digitalisiert hatte, um Redaktionsmitgliedern und Forschern eine leicht zu nutzende Datenbank zur Verfügung zu stellen.
»Hier, für dich«, sagte Pascual Arrese, der zu ihr getreten war, und gab ihr Abzüge der gelungensten Aufnahmen, die er am Strand von Bogatell gemacht hatte: zehn auf das Format 13 x 18 Zentimeter vergrößerte Fotos des Toten aus verschiedenen Blickwinkeln und mit unterschiedlicher Brennweite aufgenommen.
Sie dankte ihm, legte sie vor sich hin und betrachtete sie schweigend. Das Gesicht des Mannes war weiß und faltig, als hätte das Wasser die Haut entfärbt und das Salz seine Züge ausgelöscht. Die Hände sahen ähnlich aus. Im Jargon der Gerichtsmediziner hieß das »Waschfrauenhaut«. Sie nahm eine Nahaufnahme des Gesichts zur Hand und hielt sie sich dicht vor die Augen. Außer dem Bürstenhaarschnitt fiel ihr auf, dass der Mann unrasiert war und ein unverkennbarer Ausdruck des Entsetzens auf seinen Zügen lag.
»Hast du früher schon mal so was gesehen?«, fragte sie Pascual Arrese und hielt ihm eine der Aufnahmen hin, auf der die vollkommen glatten Finger und Handflächen zu sehen waren.
»Noch nie«, gab er zurück. Die vollständige Abwesenheit von Hautleisten überraschte ihn ebenfalls. »Interessiert dich der Fall?«
»Ich meine mich zu erinnern, dass ich als Volontärin von einem Dieb habe reden hören, dessen Finger keine Abdrücke hinterließen. Da könnte doch eine Beziehung bestehen. Im Archiv finde ich aber nichts … Womöglich irre ich mich ja auch.«
»Red mal mit Ángel Conill«, regte der Fotograf an. »Was unsere Zeitung angeht, ist er ein wandelndes Lexikon.«
»Conill?«
»Er hat jahrzehntelang die Regionalredaktion geleitet.«
»Ach, jetzt fällt es mir ein«, sagte Mabel. »Er ist in Rente gegangen, kaum, dass ich hier angefangen hatte.«
»Ja. Wir haben oft zusammengearbeitet und pflegen unsere Freundschaft nach wie vor. Ich habe seine Telefonnummer noch immer und verabrede mich manchmal mit ihm. Wir reden dann bei einer Tasse Kaffee über die gute alte Zeit, als man seine Artikel noch in die Maschine tippte, das Blatt mit der Linotype gedruckt wurde und meine Kamera eine analoge Voigtländer mit Wechselobjektiv und Edelstahlgehäuse war. Hoffentlich erinnert sich auch jemand an mich, wenn ich eines Tages in Rente gehe.«
»Ich versprech dir, dass ich deine Telefonnummer nicht aus meiner Liste streiche«, sagte Mabel mit einem Lächeln, das nicht ohne Spott war.
Pascual Arrese holte aus der Innentasche seiner Lederjacke ein winziges, schwarz eingebundenes Adressenbüchlein, dessen Blätter vom häufigen Gebrauch sichtbar abgenutzt waren, und suchte die Nummer heraus.
Er diktiert sie Mabel mit dem Hinweis, sie solle
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