Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
als Mutter des Mensch gewordenen Gottessohnes und dessen Nachkommenschaft hier auf Erden. Den göttlichen Sohn stellt das alchemistische Gold dar, und den irdischen das mineralische. Darin besteht das große Geheimnis der Kirche, das die Mitglieder jenes Ordens verborgen halten wollen. Immerhin würde es das Ende einer zweitausendjährigen Herrschaft bedeuten, wenn jemand unwiderlegliche Beweise für die Existenz einer Geschlechterfolge göttlichen Ursprungs lieferte.«
»Die Zwillinge Castor und Pollux.«
Falcone stimmte rückhaltlos zu. »Die christliche Ikonographie des Mittelalters verweist mit einer Fülle von Symbolen auf das Motiv der Zwillinge und somit auf das mit Jesus Christus und seinem Bruder oder seinen Brüdern verbundene Geheimnis der Quintessenz. Deshalb hat sich der Orden für den Hund und den Hahn als Kennzeichen entschieden, denn über den von mir genannten Symbolgehalt hinaus spielt der Hahn auch eine Rolle in der alchemistischen Hermetik, vor allem bei dem Mann, der besonders tief in ihre Geheimnisse eingedrungen war. Damit meine ich den durch die Zahl Drei oder ein Dreieck dargestellten Hermes Trismegistos. Nur wenn der Hahn drei Mal kräht, wird jemand in diese Geheimnisse eingeweiht. Ausschließlich aus diesem Grund ist der Apostel Petrus in den Besitz der wahren Enthüllung gelangt, nachdem er Christus drei Mal verleugnet hatte, bevor der Hahn krähte.«
»Und der Hund?«
»Er steht als Sinnbild für die wahre Aufgabe des Ordens«, gab ihm Falcone zur Antwort. »Er verweist darauf, dass der hundsköpfige Xólotl eine andere Erscheinungsform des Quetzalcóatl und nach dem Glauben der Azteken Urheber der zweiten Erschaffung der Menschheit ist – eine Rolle, die nach der christlichen Überlieferung der Nachkommenschaft Christi zufallen soll.«
»Wie stellt sich eigentlich die Amtskirche zu diesem Orden?«
»Sie hat ihn nie öffentlich verdammt, einfach deshalb, weil sie offiziell die Augen vor seiner Existenz verschließt. Doch es liegt auf der Hand, dass er außerhalb ihrer steht und sie ihn daher zu bekämpfen versucht, weil sie nicht in Skandale verwickelt werden will.«
»Ein Orden, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Geheimnisse zu bewahren?«, fragte Mabel, die sich noch nicht von ihrer Verblüffung erholt hatte. »Auf den Gedanken wäre ich nie im Leben gekommen.«
»Orden oder Sekten, deren Bestreben es war, Kenntnisse zu verbergen, die sie für zerstörerisch hielten, hat es gegeben, solange die Menschheit besteht«, gab Falcone zu bedenken.
»Und wo halten sich seine Mitglieder auf?«
»Das weiß niemand. Ich vermute, dass man sie in diesem oder jenem Dominikanerkloster stillschweigend duldet, doch bleiben sie zu ihrer eigenen Sicherheit nie lange an einem Ort. Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass es eine bestimmte Stelle gibt, an der sie sich treffen. Sie ziehen hierhin und dorthin und halten ihre Zusammenkünfte unter größter Geheimhaltung ab. Ohnehin sind die meisten seiner Mitglieder ›Schläfer‹, das heißt, sie führen nach außen hin ein ganz normales und unauffälliges Leben und werden erst tätig, wenn der Orden sie ruft. Immer wenn etwas Merkwürdiges geschieht, das mit Glaubensdingen zu tun hat, darf man sicher sein, dass der Orden von Hund und Hahn dahintersteckt.«
»Sie haben von einer Kirche in Neapel gesprochen …«, erinnerte ihn Munárriz.
»Ja, die Kirche Delle Anime del Purgatorio ad Arco . Es ist ein ebenso schöner wie interessanter Bau aus dem 17. Jahrhundert mit Bildern aus dem 18. Jahrhundert und einem barocken Marmoraltar mit beeindruckenden Einlegearbeiten sowie einem Museum voller herrlicher Standbilder. Vor allem aber besitzt die Kirche ein Hypogäum, eine unter dem eigentlichen Bau befindliche Grabanlage, in der man die Gründer des Ordens und einige seiner herausragenden Mitglieder beigesetzt hat, und zwar so, dass ihre Schädel sichtbar sind.«
»Eine Kirche, die ihrem Namen nach zu urteilen den Seelen im Fegefeuer geweiht ist.«
»Es ist kein Zufall, dass die Ordensgründer sie gewählt haben. Betrieben hat ihren Bau der neapolitanische Adel, allen voran die Familie Mastrilli, die einen beträchtlichen Teil ihres Vermögens darauf verwendet hat, Arme zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass sie ein würdiges Begräbnis bekamen.« Falcone machte eine Pause und sah mit Befriedigung die gespannte Neugier auf den Gesichtern seiner Zuhörer. »Die Ordensmitglieder sind sich ihres Ungehorsams gegenüber der Kirche durchaus bewusst,
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