Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
Munárriz hatte den Eindruck, dass man trotz seines schroffen Auftretens mit dem Mann würde reden können und zeigte ihm seinen Dienstausweis, woraufhin dieser unwillkürlich zurückwich. Polizei im Hause war gleichbedeutend mit Schwierigkeiten, und er wollte um nichts in der Welt in undurchsichtige Angelegenheiten verwickelt werden.
»Das konnte ich nicht wissen …«, entschuldigte er sich. Vielleicht sei er etwas zu barsch gewesen, doch liefen heutzutage so viele Gauner frei herum, dass ihm jeder Fremde, der dort auftauchte, von vornherein verdächtig erscheine.
»Würden Sie mir bitte sagen, wo sie wohnt?«, schnitt ihm Munárriz das Wort ab, wobei er den Ausweis nach wie vor sichtbar in der Hand hielt.
»Dritter Stock, Nummer vier«, sagte der Mann wie betäubt. Sein Gegenüber war in Zivil, trug aber eine Waffe. Das konnte nichts Gutes bedeuten. »Ist etwas vorgefallen, Herr …?«
»Inspektor Munárriz von der Kriminalpolizei.«
»Ich müsste Señorita Begoña anrufen und ihr sagen …«
»Das scheint mir überflüssig. Sie erwartet mich.«
»Gibt es etwa Schwierigkeiten?«
»Beantworten Sie bitte einfach meine Fragen.«
»Gewiss …«
»Haben Sie in letzter Zeit jemanden hier im Hause gesehen, der sich verdächtig gemacht hat?«
»Nein«, kam die prompte Antwort. »Seit vor ein paar Jahren in Nummer zwei im ersten Stock eingebrochen wurde, achte ich noch genauer als sonst darauf, wer hier kommt und geht. Sie haben ja selbst gesehen, dass ich mich sogleich an Sie gewandt habe, weil mir Ihr Verhalten verdächtig vorkam. Entschuldigung, ich wollte nicht …«
»Welches ist ihr Briefkasten?«
»Der da.«
Munárriz nahm den Schlüsselbund, den ihm Mabel gegeben hatte, suchte den kleinsten Schlüssel heraus und schloss auf. Der Briefkasten enthielt lediglich ein Schreiben vom Gaswerk. Er schloss wieder ab. Der Pförtner erklärte ihm, dass er jeden Tag am späten Abend die Briefkästen derjenigen Hausbewohner leerte, die auf Reisen seien, damit sie nicht überquollen und auf diese Weise deren Abwesenheit anzeigten.
»Sie war verreist?«, erkundigte sich Munárriz.
»Vor etwa zehn Tagen«, sagte der Pförtner, den Finger an die Schläfe gelegt, als müsste er sich erst erinnern. »Vorigen, nein, vorvorigen Montag hab ich sie mit einem Koffer rausgehen sehen. Sie wollte zu ihren Angehörigen, wie sie gesagt hat. Ich kann gern für Sie bei ihren Eltern anrufen.«
»Das ist nicht nötig«, sagte Munárriz rasch. Offensichtlich wusste der Mann noch nichts vom Vorgefallenen. »Ist Ihnen an ihrem Verhalten etwas aufgefallen?«
»Nein. Sie ist ziemlich häufig verreist und irgendwann wieder aufgetaucht, ohne dass sie etwas davon gesagt hätte: zu ihren Eltern nach El Puerto de Santa María, gelegentlich nach Afrika, wo sie wohl mit einer privaten Hilfsorganisation zusammenarbeitet. Über Nacht war sie meist ohnehin nicht im Hause.«
»Kennen Sie ihren Verlobten?«
»Ja.« Die Fragen verwirrten den Mann sichtlich.
»War der vorige Woche hier?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
Der Pförtner konnte seine Neugier nicht länger bezähmen und fragte: »Wieso haben Sie ihre Schlüssel?«
»Ich bin ein Freund der Familie und soll Verschiedenes aus der Wohnung holen.«
»Ich begleite Sie.«
»Das ist nicht nötig«, bremste Munárriz seinen Eifer. »Machen Sie einfach mit dem weiter, was Sie zu tun haben. Vielen Dank für Ihre Auskünfte.«
»Nichts zu danken, Inspektor.«
Der Pförtner kehrte in seine Loge zurück, wo er sich an einem elektrischen Heizöfchen die Füße wärmen konnte, und Munárriz nahm den Aufzug nach oben.
Nach einer Weile fuhren die Türen mit einem Klingelton auseinander, und eine Frauenstimme sagte »Dritter Stock«. Vier Wohnungen lagen an einem mit Teppichboden ausgelegten langen Korridor. Wahrscheinlich lebten dort ausschließlich alleinstehende Menschen, die das Haus morgens zur Arbeit oder zum Studium verließen und erst am späten Abend zurückkamen, so dass vermutlich niemand zu Hause war, bei dem er Erkundigungen hätte einholen können. Trotzdem drückte er probehalber auf einen Klingelknopf nach dem anderen. Ganz wie erwartet öffnete niemand.
Er musterte das Türschloss der vierten Wohnung: Wie bei den anderen handelte es sich um ein ganz normales Sicherheitsschloss. Er nahm die Schlüssel heraus und schloss auf. Schon von der Tür aus fiel ihm auf, dass in der Wohnung ein unbeschreibliches Durcheinander herrschte. Der gesamte Inhalt der Kleiderschränke lag auf dem
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