Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
das da ist mein Kollege Pascual Arrese. Er ist Fotograf.«
»Aha«, murmelte der Mann, dem ihre Anwesenheit nicht recht zu sein schien. Journalisten tauchten oft sehr viel früher an einem Tatort auf als Gerichtsmediziner oder der Richter, der zu entscheiden hatte, ob eine Leiche für den Abtransport freigegeben werden durfte oder nicht. »Wer hat Sie informiert?«
»Ein kleines Vögelchen hat gezwitschert«, scherzte Mabel, die nicht daran dachte, ihren Informanten preiszugeben. »Hören Sie, Señor …«
»Josep Estivill«, stellte er sich vor und schüttelte ihr die Hand. »Vom Hauptquartier der Einheit für Verbrechensbekämpfung.«
»Ach?«, wunderte sie sich. »Dann handelt es sich wohl nicht um einen Unfall? Ich hatte gedacht, der Mann ist ertrunken.«
»Sie haben es erfasst«, gab er zur Antwort. »Es geht eindeutig um Mord.«
»Sind Sie bereit, uns bei unserer Arbeit zu unterstützen?«, fragte Mabel.
»Selbstverständlich. Wir sind vom Innenministerium angewiesen, mit der Presse zusammenzuarbeiten.«
»Dürfen wir Aufnahmen machen?«
»Nur zu. Aber sobald der Richter auftaucht, ist Feierabend.«
Mabel gab Pascual Arrese das vereinbarte Zeichen, woraufhin dieser seine Canon hervorholte. Er stellte auf das Gesicht des Toten scharf und machte mehrere Aufnahmen. Als alter Hase wusste er, was er zu tun hatte, und trat von Zeit zu Zeit beiseite, um die Arbeit der Polizei nicht zu behindern. Einer der Beamten, dessen Aufgabe es war, seinerseits Fotos zu machen, wollte Einzelheiten über Arreses Kamera wissen, und sie fachsimpelten eine ganze Weile in bestem Einvernehmen. Estivill führte Mabel zu dem Toten.
»Hier haben Sie ihn«, sagte er. »Er ist hier angespült worden, ohne Papiere oder sonst etwas, das Rückschlüsse darauf zuließe, um wen es sich handeln könnte. Kein Ring, keine Kette, keine Armbanduhr, nichts.«
»Wie ist er umgekommen?«, erkundigte sich Mabel.
»Man hat ihm zwei Kugeln Kaliber 9 mm Parabellum direkt in die Brust geschossen. Eine muss genau ins Herz gegangen sein. Sehen Sie«, er wies auf die beiden vom Meerwasser sauber gespülten Einschusslöcher.
»Wer hat ihn gefunden?«, fragte sie weiter, während sie eifrig schrieb.
»Ein älterer Herr, der mit seinem Hund unterwegs war.« Bei diesen Worten wies er auf einen Mann in einem dicken Pullover, der einen irischen Setter an der Leine hielt und mit zwei anderen Polizeibeamten sprach.
»Haben Sie ihn befragt?«
»Ja, aber es ist nichts dabei herausgekommen. Wie jeden Morgen ist er auch heute mit seinem Hund hergekommen und dabei auf den Mann gestoßen.«
»Wurde er hier ermordet?«
»Vermutlich nicht. Wir haben im Sand weder Blutspuren noch Geschosshülsen gefunden, obwohl wir die ganze nähere Umgebung mit einem Metalldetektor abgesucht haben.«
»Der Täter hat die Hülsen womöglich aufgesammelt«, gab Mabel zu bedenken.
»Wäre möglich – wenn man den Mann hier am Strand erschossen hätte«, gab der Beamte zurück. »Aber das war mit Sicherheit woanders, und dann hat man ihn ins Meer geworfen.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Die Lebertemperatur beweist, dass er bereits seit mehreren Tagen tot ist«, teilte er ihr mit. »Das hat der Kollege von der Kriminaltechnik festgestellt. Außerdem lässt der Zustand der Haut erkennen, dass er die ganze Zeit im Wasser gelegen haben muss, und drittens«, fügte er zur Stützung seiner These hinzu, »hat der Kollege an der Leiche Braunalgen gefunden.«
»Braunalgen?«, wiederholte Mabel verblüfft.
»Und was bedeutet das?«
»Dass er nicht irgendwo in Ufernähe ins Wasser gefallen ist«, antwortete der Beamte.
Nachdenklich sah Mabel auf das im Schein der Herbstsonne glänzende Meer hinaus und zog ihre eigenen Schlüsse. Von irgendwoher da draußen war die Leiche jenes muskulösen Mannes angetrieben, ohne Papiere, Muttermale oder sonstige Kennzeichen, anhand derer sich feststellen ließe, wer er war. Er hatte ein Dutzendgesicht wie all die vielen anderen, die sie in jüngster Zeit bei der Suche nach Material für ihre Reportage über namenlose Tote gesehen hatte. Ein Mensch, auf den niemand Anspruch erhob und für dessen Beisetzung die öffentliche Hand würde aufkommen müssen. Ein Toter, von dem nichts bleiben würde als eine Zahl auf einem schmucklosen Zementblock.
Pascual Arrese bedeutete ihr mit Zeichen, dass er genug Aufnahmen hatte, und so gab es keinen Grund, sich länger dort aufzuhalten. Jeden Augenblick konnte der Richter auftauchen, und erfahrungsgemäß
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