Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
Schiffes gehört, das Rauschgift ins Land bringt.«
»Möglich.«
»Ein pensionierter Kollege hat mir mal erzählt, dass sich früher die Mitglieder der Mafia in Kalabrien und der Camorra in Neapel die Handflächen mit Säure verätzt haben, damit man sie nicht anhand ihrer Fingerabdrücke identifizieren konnte.«
»Ach, das ist mir neu.«
»Heute hätte das keinen Sinn mehr«, fuhr Munárriz fort, »denn der sogenannte genetische Fingerabdruck bietet eine weit bessere Möglichkeit, Menschen anhand ihrer DNA zu identifizieren, als man je zuvor hatte. So wurden beispielsweise die Terroristen, die in Madrid den Anschlag vom 11. März 2004 verübt haben, anhand winziger DNA-Spuren ermittelt und überführt.«
»Für den Fall, dass der Tote ein Mafioso war«, spekulierte Mabel, »würde das die Vermutung bestätigen, dass die Sache mit Rauschgift zusammenhängt.«
»Wie gesagt, es ist eine überholte Praxis, sich die Hände zu verätzen«, wiederholte Munárriz. »Vielleicht hat sich der Mann ja auch nur mal die Hände verbrannt und dabei seine Papillarleisten eingebüßt.«
»Ach, da fällt mir ein«, gab sie zurück, »dass mir vor Jahren, als ich ganz neu in der Redaktion war, jemand was von einem Verbrecher erzählt hat, der auch keine solchen, wie hast du gesagt, Papillarleisten hatte.«
»Bestimmt reiner Zufall.«
»Trotzdem will ich der Sache mal nachgehen«, beschloss sie. »Du sagst selbst immer wieder, dass es keine Zufälle gibt.«
»So ist es auch.«
Ein Telefon klingelte. Munárriz wies wortlos auf die Handtasche, die Mabel über eine Stuhllehne gehängt hatte. Sie ging hin, holte das Telefon heraus, nahm den Anruf entgegen und hörte aufmerksam zu, ohne selbst etwas zu sagen. Nach einer Weile dankte sie dem Anrufer und drückte den Aus-Knopf.
Befriedigt lächelnd kehrte sie mit einem Notizzettel in der Hand an den Tisch zurück.
»Du hast eine Verabredung mit Alfonso Grau«, sagte sie und schob ihm den Zettel hin. »Der Mann ist ein Modernismus-Experte, der sich mit dem Werk Gaudís beschäftigt hat.«
»Kennst du ihn?«
»Nein, aber Nicolás Fraile sagt, dass ihm auf diesem Gebiet niemand in Barcelona das Wasser reichen kann.«
»Was ist er von Beruf?«
»Architekt, inzwischen im Ruhestand. Er war aber in den siebziger Jahren ziemlich bekannt und hat bei einer ganzen Reihe bedeutender Bauvorhaben in der Stadt mitgewirkt.«
»Und wann soll ich zu ihm gehen?«
»Morgen um zehn«, sagte sie mit leicht spöttischem Lächeln, denn sie wusste, dass Munárriz ein ausgesprochener Morgenmuffel war.
»Kommst du mit?«
»Das geht leider nicht. Ich muss in der Redaktion sein.«
»Na schön. Ich verlass mich darauf, dass dein Kollege Recht hat.«
»Nicolás Fraile kennt im Kulturleben der Stadt jeden, der Rang und Namen hat«, teilte sie ihm mit, um seine Bedenken zu zerstreuen. »Du kannst dich hundertprozentig auf ihn verlassen. Schließlich gibt er jedes Jahr ein Who is who? der katalanischen Kultur heraus.«
Eine Weile betrachtete Munárriz schweigend den Zettel mit der Adresse, den ihm Mabel gegeben hatte, und schüttelte enttäuscht den Kopf. Er hatte gehofft, mit einem berühmten Architekten sprechen zu können, einem herausragenden Kenner der Arbeit Gaudís oder zumindest einem angesehenen und erfahrenen Restaurator. Jetzt musste er sich mit einem Baumeister im Ruhestand begnügen, dessen Namen er noch nie gehört hatte. Zu allem Überfluss würde er früh aufstehen müssen, damit er um zehn Uhr an der angegebenen Adresse in Vallvidrera sein konnte.
7
W ährend die Bergbahn gemächlich einen mit Kiefern bestandenen steilen Hang emporkroch, wurde die Stadt vor den Augen des Betrachters immer kleiner. Die Bergstation erwies sich als Jugendstil-Gebäude, dessen Portal mit seinen geschwungenen Linien in einer steinernen Fassade saß, und dessen große Fenster abgerundete Dreiecke bildeten.
Auf einem Stadtplan im Bahnhofsgebäude sah Munárriz nach, wie er den Hauptplatz in der Mitte von Vallvidrera erreichen konnte. Auf dem Weg dorthin staunte er darüber, was für Paläste sich Barcelonas Unternehmer zu Beginn des 20. Jahrhunderts dort als Sommervillen hatten errichten lassen. In der Calle Mon d’Orsa blieb er vor dem Haus mit der Nummer 35 stehen – ein hochherrschaftliches Gebäude im klassizistischen französischen Stil inmitten eines großen gepflegten Parks. Vom Eingangstor aus konnte man die Fassade mit ihren drei großen Fenstern und einem Balkonerker mit steinerner
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