Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
Brüstung erkennen. Ihn trugen vier runde Säulen mit ionischen Kapitellen. Munárriz drückte auf die Klingel und wartete.
Nach einigen Minuten kam eine ältere Frau in der altmodischen Tracht eines Dienstmädchens auf das Tor zu. Sie hatte volles weißes Haar und hinkte leicht, möglicherweise litt sie an Kniearthrose. Sie schloss auf und brummte etwas Unverständliches vor sich hin, als sich das Tor mit quietschenden Angeln öffnete. Die Armbewegung, die sie dabei machte, deutete Munárriz als Aufforderung, einzutreten. Während er ihr zum Hauseingang folgte, sah er fasziniert auf den mächtigen Schlüsselbund in ihrer Rechten.
»Bitte treten Sie ein«, sagte die Frau, diesmal verständlich. »Señor Grau erwartet Sie.«
Hinter dem Windfang erstreckte sich ein großes Vestibül, dessen Wände mit impressionistischen Gemälden bedeckt waren, davor standen römische Halbplastiken und eine Vitrine mit Architekturmodellen. Eine Sitzgarnitur mit Lederbezügen und einige antike Möbel vervollständigten die luxuriöse Einrichtung. Wortlos wies die Schlüsselgewaltige auf einen Sessel und ging davon, um ihrem Herrn das Eintreffen des Gastes mitzuteilen. In einem Nebenraum verkündete eine Schlagwerkuhr, deren Klänge sich hallend im ganzen Haus fortpflanzten, dass Munárriz pünktlich gekommen war. Wenige Minuten, nachdem die Frau im Inneren verschwunden war, trat ihm ein Mann gegenüber, den er auf knapp siebzig schätzte. Über einem Pyjama trug er einen farblich darauf abgestimmten seidenen Morgenmantel. Um seinen Hals lag ein weißer Kaschmirschal, und seine Füße steckten in unübersehbar teuren Lederpantoffeln. Ein Geruch nach Haarfestiger umgab ihn. Unwillkürlich fühlte sich Munárriz an Gestalten aus Filmkomödien der Glanzzeit Hollywoods erinnert. Er hielt dem Mann die Hand hin und stellte sich vor: »Sebastián Munárriz.«
»Alfonso Grau. Treten Sie näher. Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung.«
Sie traten in einen großen Salon mit zwei mächtigen Kronleuchtern aus böhmischem Kristall. Aus den Fenstern des Erkers, den er schon von draußen gesehen hatte und der eine ganz Wand des Raumes beherrschte, bot sich ein atemberaubender Blick auf Barcelona und das Meer dahinter.
»Bitte nehmen Sie Platz.«
Munárriz setzte sich, legte den Umschlag mit den Fotos und Zeichnungen vor sich auf ein Tischchen und genoss die Aussicht. Inzwischen trieb der Wind den Dunst vom Meer landeinwärts. Zwischen den höchsten Gebäuden, die wie in den Stadtplan gesteckte Nadeln aufragten, stachen die Türme der Sagrada Familia deutlich hervor.
»Was für eine unglaublicher Blick!«, rief Munárriz bewundernd aus.
»Sie müssten mal an einem Sonnentag hier sitzen«, erklärte Grau, »dann würden Sie hier nie wieder weg wollen.«
»Das kann ich mir denken.«
»Milchkaffee?«
»Um diese Tageszeit trinke ich nichts anderes.«
»Entschuldigen Sie, dass ich Sie so zeitig hergebeten habe, aber nachmittags empfange ich keine Besucher, da ruhe ich und lese.«
Die Haushälterin tauchte im Erker auf, nahm die Anweisungen ihres Herrn entgegen, hinkte davon und kehrte bald darauf mit einem Tablett zurück, das wegen ihres ungleichmäßigen Ganges bedenklich schwankte. Sie goss beiden Kaffee und Milch ein und zog sich dann unauffällig zurück.
»Was kann ich für Sie tun, Señor Munárriz?«, wandte sich Grau nach einem ersten Schluck an seinen Besucher. »Nicolás Fraile hat mir erklärt, dass Sie sich für die Arbeit Gaudís interessieren.«
»Ich muss unbedingt feststellen, was es mit den Fotos und Zeichnungen in diesem Umschlag auf sich hat.« Bei diesen Worten wies er auf das Tischchen vor sich. »Ich muss wissen, ob sie im Zusammenhang mit von Gaudí errichteten Bauten stehen, weil mir das unter Umständen dabei helfen könnte zu verstehen, warum die Aufnahmen und Zeichnungen angefertigt wurden. Ich habe die Zypresse an der Geburtsfassade der Sagrada Familia erkannt, aber alles andere kann ich nicht zuordnen.«
»Lassen Sie mich mal sehen.«
Grau beugte sich in seinem Sessel vor, öffnete den Umschlag, entnahm ihm seinen Inhalt und breitete ihn vor sich aus. Anschließend betrachtete er alles bedächtig und angespannt. Während sein Blick von einem der Blätter zum anderen wanderte, veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Er lehnte sich wieder zurück und räusperte sich.
»Wer hat diese Fotos und Zeichnungen angefertigt?«, fragte er mit ernster Miene.
»Was für eine Rolle spielt das?«
»Eine große
Weitere Kostenlose Bücher