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Sakramentisch (German Edition)

Sakramentisch (German Edition)

Titel: Sakramentisch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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oh!«, keuchte er. Sein Kopf schnellte nach unten.
    Das sah nach Schmerzen aus. Sein Herz!
    Arturs unberechenbarer Zustand war so ziemlich das Übelste an der
ganzen Sache. Nicht der Spürsinn der Polizei (bei aller Professionalität),
sondern Arturs Krankheit bereitete Hadi Sorgen.
    »Willst du ein Glas Wasser?«, fragte er. Er legte ihm die flache
Hand auf den Rücken und schob ihn vorwärts. Dann schloss er die Tür hinter ihm.
    Artur ächzte laut. Es klang wie das Knirschen bremsender
Schlittschuhe auf Eis. »Sie stehen mit einem Auto vor dem Haus und überwachen
mich!«
    Auf Hadis bisher reglosem Gesicht zeichnete sich zum ersten Mal eine
Art Lächeln ab. »Willst du dich ein paar Minuten flachlegen?«, fragte er.
    »Nein. Geht schon wieder.« Trotzdem behielt Artur die Hand an der
Brust, als könne er dadurch sein Herz vorm Zerspringen schützen.
    Hadi trat ans Fenster und zog den Vorhang zurück.
    »Da, schau hinaus. Wenn sie vor deinem Haus gestanden sind und dich
beobachtet haben, sind sie dir bestimmt auch hierher gefolgt. Siehst du was?«
    Ein silbergrauer Geländewagen, wahrscheinlich ein Honda, und ein VW  Passat parkten gegenüber. Beide waren
schneebedeckt, die Windschutzscheiben eingefroren, hinter ihnen keine
Fahrspuren.
    Artur blickte hinaus und zögerte. Er warf einen kurzen Seitenblick
auf Hadi wie einer, der aus einem Traum erwacht ist und eine Bestätigung dafür
sucht. Hinter seiner unbewegten Miene verbargen sich Traurigkeit und
Verzweiflung und so etwas wie Wut auf sich selbst. Mehr und mehr gewann er den
Eindruck, dass er dem Nervenkitzel auf Dauer nicht gewachsen war. Er hatte das
bisher seinen Komplizen gegenüber verheimlichen wollen. Doch wenn er jetzt
schon begann, Gespenster zu sehen …
    Nervös und mit ein wenig schlechtem Gewissen sah er zum wiederholten
Mal auf seine Armbanduhr. Mittlerweile wären sie ihm gefolgt und müssten an Ort
und Stelle sein, wenn er überwacht worden wäre – da gab er Hadi vollkommen
recht.
    »Überbring mir nicht solche Hiobsbotschaften«, sagte Hadi mit
erhobener Stimme. »Und vor allem, verehrter Artur, lass dich hier nicht wieder
blicken!«
    Er war laut geworden, und Artur warf ihm einen erschrockenen Blick
zu.
    Drunten hielt ein Lieferwagen, Männer entluden Zeug zum Schneeräumen
– Säcke mit Streusalz, Schaufeln, Schieber, Pickel, einen Flammenwerfer. Einer
zündete sich eine Zigarette an und sah herauf.
    »Da!«, rief Artur. Er duckte sich weg und hielt den Arm vors
Gesicht, das vor Schmerz oder Angst verzerrt war. Als hätte eine Axt ihn
getroffen.
    Hadi hatte ihm über die Schulter geschaut. Schriebe er einen Roman,
würde er diese Szene einbauen, um die Spannung zu steigern. Es wäre die ideale
Camouflage, um Leute wie sie zu beobachten. Doch dies hier war kein Roman.
    »Wahrscheinlich werden sie jetzt einen Kanaldeckel enteisen und
lupfen und darüber ein Baustellenzelt aufbauen«, phantasierte er ins Blaue
hinein.
    Wütend spielte Artur Rumpelstilz. Er stampfte mit dem Fuß auf. »Mach
du dich nicht über mich lustig«, schimpfte er. Offensichtlich tat es ihm gut,
veralbert zu werden. »Wenn ich euch beiden nicht ewig dankbar sein müsste …«
    Okay, das da unten waren wirklich Arbeiter der Gemeindeverwaltung.
Artur hatte kapiert. Er lenkte ein.
    Doch Hadi war gewarnt. Artur begann, ein Risiko zu werden. Seine
unverkennbare Angst, entdeckt zu werden, seine Nervosität – und seine
Krankheit. Auch die musste gewaltig an seinen Nerven zerren.
    Er begleitete Artur hinaus, ließ ihn in sein Auto steigen und
abfahren. Dann folgte er der Straße für sechshundert Meter, bog links ab und
kam zu der gelben Telefonzelle, die es eigentlich gar nicht mehr geben durfte.
Sie stammte noch aus den Napoleonischen Kriegen. Er hatte Glück und etwas
Kleingeld dabei.
    »Werner, wir treffen uns in vierzig Minuten beim Schmiedwirt, okay?
Also zur vollen Stunde. Ich muss etwas mit dir besprechen. Es betrifft Artur.«
    Das Schöne an der Fassade des Rosenheimer Polizeipräsidiums war,
dass man sie nicht dunkler werden, abbröckeln oder gar verwittern sah. So blieb
sie immer gleich grün, gleich hässlich, gleich polizeilich. Beton, Asphalt,
endlose Fensterreihen, symmetrisch geparkte Fahrzeuge. Über der mit einer
Schranke gesicherten Einfahrt hoben sich einige große Laubbäume drüben zur
Loretowiese hin ab. Zwischen der Wiese und dem Präsidium verlief in
Nord-Süd-Richtung die belebte Kaiserstraße. Wer zur Polizei hinüber wollte,
musste zuerst den

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