Sakramentisch (German Edition)
Schmerz in seiner Brust war längst verfolgen.
In der Früh wachte Joe Ottakring spät und mit einem nie erlebten
Kopfschmerz auf. Es war schon hell. Er hatte zu viel getrunken. Von Lola waren
nur der Duftschweiß ihrer Haut in den Laken ihres Betts, der Hauch ihres
Parfüms im Badezimmer, eine letzte Kippe im Aschenbecher auf der Terrasse und
ein alter Wollschal auf dem Garderobenhaken zurückgeblieben.
Er sah auf die Uhr, es war fast zehn. Er hatte ihr Weggehen nicht
bemerkt. Doch der Streit gestern Abend hatte genau daraufhin abgezielt. Sie
wollten sich trennen.
»Willkommen zurück, mein Schatz«, hatte er sie scheinheilig begrüßt.
»Schön, dass du wieder da bist. Erzähl!«
Er hatte sie reden lassen.
Lola erzählte. Sie berichtete detailliert vom Klassentreffen, auf
Nachfrage auch vom Hotel.
»Und das Essen bei Jedlitschkas?«
»Nett. Wie immer sehr nett. Sie hat wieder viel erzählt. Vom Baum
zum Ast zum Ästchen, aber das kennt man ja an ihr. Der Gustl hat ein bisschen
nachgelassen. Das Alter halt …«
»Und? Was gab’s zu essen?«
Solcherlei Fragen. Er hatte sie in eine brutale Falle gelockt. Doch
diese Fremdgängerin hatte es nicht anders verdient, fand er.
Schön. Nett. Endlich mal wieder die alte Clique. Lange nicht da
gewesen. Aber … Ihre anfängliche Euphorie verwandelte sich zusehends in
vorsichtige Zurückhaltung.
Ottakring kannte seine Frau nur zu gut. Wenn es irgendwo auf der
Welt telepathischen Spürsinn gab – Lola hatte ihn. In drei, vier Mordfällen
hatte er sie früher sogar als Medium eingesetzt. Und so funktionierten ihre
Antennen auch heute. Sie merkte etwas. Sie erkannte, dass er nicht aus
Interesse fragte, sondern dass er sie testen wollte.
Doch da war es schon zu spät.
»Und? Wie war das so mit Dierk Weimar? Hast du’s genossen?«
Der Name sprang ihr ins Gesicht, wand sich durch die Ohren in
Millisekunden durch bis in die letzte Gehirnwindung.
Sie hatte keine Chance.
Das Blöde war nur, Ottakring liebte sie immer noch. Doch sein Stolz
verbat ihm eine andere Lösung. Einen Satz wurde er zum Schluss noch los. Den
hatte er sich vorher schon zurechtgelegt.
»Liebe ist eine Waffe, mit der man spielt, ohne daran zu denken,
dass sie geladen ist.«
Ein schöner Satz, fand er am nächsten Morgen noch immer. Trotz
Kopfschmerz. Doch Lola hatte ihn gar nicht registriert. Früher hätte sie
gelächelt, gelacht, geklatscht oder ihn sich sogar notiert.
Wie funktioniert das Ende einer Liebe?
Er warf sich das nächste Aspirin in den Rachen. Dann ging er in die
Küche, setzte die Espressomaschine in Gang, öffnete die Glastür und trat auf
die Veranda.
Es war ein Frühlingstag wie im Bilderbuch. Kein Lüftchen regte sich.
Die Sonne stand noch immer winterlich tief, wärmte aber schon spürbar und
spendete ein Licht, wie es heller und klarer nicht sein konnte.
Es hätte so schön sein können. Wie sollte er je ohne Lola leben?
Unten ballte er die Fäuste in den Taschen, als er spürte, wie ihm
oben leise Tränen über die Wangen rannen.
Seine Stimmung wurde auch nicht aufgehellt, als das Telefon schellte
und Rico Stahl anrief.
»Herr Ottakring, dürfte ich Sie bitten, auf ein gutes Stünderl zu
mir zu kommen? Wie immer im Kleinen Besprechungsraum. Nur Sie, Frau Toledo und
ich. Es geht noch immer um die Überfallserie.«
Eine knallgelbe Krawatte mit zähnebleckenden Lamas in einem
schütteren Orange, dazu ein schwarzes Hemd mit Ärmeln in Überlänge unter einem
hellbraunen Anzug mit grauen Nadelstreifen. Das war Rico.
Chili glänzte in einem hellblauen Jeansanzug mit Pailletten,
halbhohen High Heels, einem goldenen Band im Haar und wieder diesen
Roma-Ohrringen, heute in flammendem Rot. Die dunklen Ringe um die Augen passten
nicht dazu.
Wieder zu viel gesumpft, dachte Ottakring. Man könnte meinen, wir
sind in einer Castingshow für die Lady-Gaga-Truppe. Er war froh, dass er an
Chili weder ein Piercing noch ein Tattoo erkennen konnte. Er selbst sah wie der
Buchhalter vom Dienst aus. Anorak, Baseballkappe, Schlabberjeans,
Frühlingsstiefel. Wie ein alter Kriminaler eben.
Ja, der Frühling regte sich. Manchmal tat er’s schon am zweiten
Weihnachtsfeiertag, in diesem Jahr erst Ende Februar. In Ottakrings Garten
fingen die Märzenbecher an zu blühen, auf dem Herweg hatte er die ersten Blüten
gelber Forsythien an einem Zaun entdeckt. Die Luft roch nicht nur, man konnte
sie schmecken. Im Präsidium endete der Winterschlaf, die Frühjahrsmüdigkeit
begann.
Er hatte Mühe,
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