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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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was in der Luft.»
    «Der Frühling», sagt der Bulle.
    Shaftoe sagt gar nichts, reibt nur immer wieder den Löffel zwischen den Fingern. Sollte er sich in eine Fee verwandeln, würde er als ersten Wunsch die Geschichte dieses Löffels erfahren wollen. Doch halt, nein, so ein eingefleischter Detective ist er auch wieder nicht. Sein erster Wunsch wäre, wieder Football zu spielen. Der zweite: vielleicht Frieden in der Welt, vielleicht ein Heilmittel gegen ids. Der dritte … ach was, spielt sowieso keine Rolle. Er wirft einen Blick über die Schulter. «Diese Dame, diese Miss Charles, wie ist die denn so?»
    «Sie is Künstlerin», sagt Raoul.
    «Ist nicht wahr.»
    Vor dem I & I lässt der Fahrer den Detective und Raoul aussteigen. «Tragen Sie Ihre Weste?», fragt er.
    «Nee», sagt Shaftoe und streicht sich übers Hemd. «Ich werd rechtzeitig in Deckung gehn. Das Essen soll übrigens auch nicht besonders sein.»
    Wenn man das I & I betritt, liegt linker Hand die Bar und rechts der Raum, in dem die Gäste essen, abgeteilt durch eine niedrige, bambusverkleidete Trennwand, vielleicht einen Meter hoch. Das Podium steht am Ende der Bar, ist aber vom Speisesaal aus bestens zu sehen – und zu hören. Teddy, der Maître d’, setzt Detective Sergeant Shaftoe und Raoul Ritz in den Speisebereich, da er praktisch leer ist, während in der weniger großen Bar die Leute dicht gedrängt stehen. Ellen Cherrys Platz ist mehr vorn an der Bar, daher bedient sie Shaftoe und Raoul nicht, und die beiden müssen sich den Hals verrenken, um sie zu sehen.
    «Mann, sieht sie nicht klasse aus?», sagt Raoul.
    «Was für Haar», staunt Shaftoe.
    Ihre Aufmerksamkeit richtet sich aufs Podium, wo der Bandleader gerade mit ein paar dürren und nichtssagenden Worten eine sehr junge Frau vorgestellt hat. Als die Band wieder loslegt, versetzt das Mädchen dem Tamburin einen lauten Schlag und beginnt zu tanzen. Im gleichen Augenblick weiß Shaftoe, welches sein dritter Wunsch wäre. Raouls Kopfschmerzen verflüchtigen sich jäh durch den weit aufgerissenen Mund. Alle Gespräche im I & I werden abgebrochen, manche mitten im Satz. Das Publikum sitzt da wie versteinert. Manche Männer greifen sich ans Herz, aber die meisten sind starr vor Staunen, wie Schmetterlinge hinter Glas. Köche und Tellerwäscher zieht es aus der Küche, Wachmänner verlassen ihren Posten auf dem Bürgersteig. Das Tamburin dröhnt, das Tamburin klingelt; das Mädchen tanzt – ungelenk, schüchtern –, und das Publikum spürt das Gewicht, das Gewebe, den Duft eines uralten Tuchs, das über seine Köpfe gefallen ist, vielleicht das Tuch, auf dem Abraham die Beine von Sarai und Hagar spreizte.
    Es hat abgekühlt, wie an Aprilabenden üblich, doch als der Tanz vorbei ist, badet das I & I in Schweiß. Die Männer applaudieren, halten inne, um sich über die Stirn zu wischen, und applaudieren weiter. Sie pfeifen und stampfen. Es ist schon eine Weile her, dass Shaftoe eine solche Belebung seiner Lenden erlebt hat. Raoul murmelt etwas auf Spanisch vor sich hin, irgendwas wie: «Ich schreib ’nen Song für sie, Mann. Ich schreib
zehn
Songs.» Raoul hat Ellen Cherry total vergessen. Ebenso die Griechen und Syrer, die Türken und Algerier, die Zyprioten, Kuwaitis und Israelis, die seit Monaten mit ihr flirten und aus deren Mitte sie sich, trotz ihrer rassischen Vorurteile, in nächster Zukunft einen Liebhaber zu erwählen gedachte.
    Ellen Cherry muss das nachlassende Interesse instinktiv gespürt haben, denn als der schweißtriefende Abu und der augenrollende Spike sie atemlos in rascher Folge fragen: «Was halten Sie von dem Tamburinmädchen?» und «Nu, was denken Sie über unsere kleine Salome?», stülpt sie ihre Unterlippe so weit vor, dass eine Topfpflanze darauf Platz fände, und antwortet: «Ihre Beine sind zu dünn. Für eine Bauchtänzerin hat sie wirklich Storchenbeine.»
     
    Ein oder zwei Minuten später setzt die Musik wieder ein, und erneut verwandelt sich das I & I durch die scheue junge Tänzerin, Storchenbeine und so weiter, in ein wildes, orgiastisches Dampfbad. Gedankenverloren zieht Shaftoe den Löffel aus der Tasche seines billigen Sportsakkos und trommelt im Takt der Musik auf einen Bambusuntersetzer. Spoon ist gekränkt. So peinlich ist ihr die unanständige Vorstellung, dass sie den Raum nicht mehr als den Ort erkennt, an dem sie und Ellen Cherry vor fünf Monaten wiedervereint wurden, und sie wünscht sich nichts sehnlicher, als dass sie bei dem

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