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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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bezichtigen.
    Jedes Mal, wenn sie an einem japanischen Restaurant vorbeikam, was hier auf der East Forty-ninth etwa alle zwanzig Sekunden der Fall war, dachte Ellen Cherry:
Der Bambus war für dieses Lokal bestimmt, sie haben es nur aus Versehen an unser Jerusalem geliefert.
Als sie an der Ecke Third Avenue bei Wollensky’s vorbeikam, dem beliebten Politikertreff, fragte sie sich, wie viele wohl dadrinnen insgeheim gegen den Frieden im Nahen Osten waren. Dann dachte sie:
Teppiche.
Dann trat sie in einen Haufen Blätter, wirbelte eine messingfarbene Blätterwolke auf und sah sich herausfordernd um, als wollte sie sagen: «Ich bin vierundzwanzig, mein Mann hat mich sitzengelassen, ich arbeite als Kellnerin und bin so frei, wie ich will.» Plötzlich fiel ihr auf, dass sie sich trotz des Scheiterns ihrer Ehe und ihrer Karriere, trotz ihres Katers und ihrer chronischen Geilheit ziemlich leicht, fast schwindlig fühlte. Sie verstand nicht, warum. War sie einfach nur zu oberflächlich, um unbegrenzt zu leiden, oder war sie zu weise, um im Kummer zu versinken, zu lebenslustig, um zuzulassen, dass er ihr Leben beherrschte? Sie entschied sich für weise und lebenslustig, ging weiter und wirbelte neue Blätterwolken auf.
    Zur Lexington Avenue hin wurden die Bäume immer spärlicher. Die vornehmen alten Sandsteinhäuser wichen verspiegelten Apartmentkomplexen und eleganten Hotels. Von den kräftigen Fingern des Geldes geknetet, verbreiterten sich die Bürgersteige. Der Fluss der Büroangestellten schwoll zu einer Sturmflut von gut angezogenen, nach Eau de Cologne duftenden Männern, die sich heimlich ärgerten, weil die Limousinen, die doppelreihig vor jedem Stückchen Bordstein parkten, nicht gehorsam auf
sie
warteten. Sie überquerte die Lexington Avenue und lief über die Belüftungsschächte der unterirdischen Gleisanlagen von Grand Central. Wie jedes Kind in New York wusste, gab es in den Tunneln da unten eine weitere Stadt, bevölkert von Flüchtlingen, Aussteigern, Zigeunern, verrückten Wissenschaftlern, Albino-Alligatoren, mutierten Riesenkakerlaken, Zauberern, Weisen und überlebenden Mitgliedern des verlorenen Stammes von Manhattan (gehüllt in glasperlengeschmückte Decken und Perlen im Wert von vierundzwanzig Dollar).
    Ellen Cherry hatte den Eindruck, dass auch Turn Around Norman diesem unterirdischen Milieu entstammte. Wenn nicht gratis in der Unterwelt, wo sollte er dann hausen? Die Sammelbüchse, die er bei seinen Performances aufstellte, enthielt selten mehr als ein paar Dimes. Jedem Hippie, der am Times Square mehr schlecht als recht auf seiner Holzflöte blies, gaben die Leute lieber was als ihm. Nach Fusel stinkende Penner mit eiterverklebten Augen verdienten mehr mit ihrem einschüchternden Anblick als Turn Around Norman mit seiner Kunst. Entweder er schlief auf der Straße, oder er hatte einen Gönner. Ellen Cherry stellte sich eine hübsche Barnard-Studentin vor, die ihr Kleiderbudget opferte, um Turn Around Norman ein Dach überm Kopf zu verschaffen. Von einem Anflug von Eifersucht gepackt, schwor sich Ellen Cherry, ihm heute zehn Dollar in seine Büchse zu legen.
    An der Kreuzung mit der Park Avenue befanden sich Banken an allen vier Ecken. Es stank nur so nach Geld. Bank des Westens, Bank des Ostens, Bank des Südens, Bank des Nordens. Bank des Feuers, Bank der Luft, Bank der Erde, Bank des Wassers. Spike hatte recht, in New York zählten nur die Schekel. Aber war es in Jerusalem anders? Bestand nicht eine der Hauptattraktionen des Neuen Jerusalems (des Himmels, wenn man so will) aus mit Gold gepflasterten Straßen? In diesem Augenblick fiel Ellen Cherry auf, dass an allen vier Ecken außerdem Hot-Dog-Verkäufer standen. Stände, die nach Sauerkraut und furzenden Würstchen stanken. Merkwürdigerweise schienen sie das Gleichgewicht wiederherzustellen – jedenfalls in New York. Was Jerusalem betraf, so mochte es dort um alles Mögliche gehen, aber bestimmt nicht ums Essen. Es war kein Zufall, dass die Bibel in ihrer Beschreibung der himmlischen Stadt niemals deren Küche erwähnte. Wie viele Leute brächten es fertig, weiter Steuern zu hinterziehen oder ihre Ehepartner zu betrügen, wenn sie wüssten, dass der himmlische Lohn dafür in einer rigorosen
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Diät bestand? Im zwölften Jahrhundert hatte es eine Durchgangsstraße in Jerusalem gegeben, die «Straße der schlechten Küche» genannt wurde. Doch nicht einmal das hatte Spike Cohen und Roland Abu Hadee von ihren kulinarischen

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