Salz der Hoffnung
Liebling. Hast du eine Ahnung von der Größe der britischen Flotte? Sie würden uns vom Meer pusten und wären zum Tee wieder zu Hause. Ich habe unterwegs übrigens den Namen deines Sir Basil Mulgrave gehört. Er steht in Verbindung mit dem Kriegsministerium und ist einer der Wortführer der Fraktion, die die Auslieferung der dänischen Flotte fordert.«
»Das wußte ich nicht.« Es war immer interessant, Informationen über Mulgrave zu bekommen. Eines Tages würde sie Jorge die Zusammenhänge erklären, aber nicht heute. »Doch es überrascht mich auch nicht, er ist ein äußerst arroganter Mann. Es sieht ihm ähnlich, ein solches Ultimatum zu befürworten. Manchmal, wenn ich meinen Mann und seine Freunde so reden höre, kann ich über ihre Herablassung gegenüber allen anderen Völkern der Welt nur staunen. Ich bin natürlich auch nur eine Kolonistin. Ich zähle überhaupt nicht.«
Sie errötete. Sie hatte nicht mitleidheischend klingen wollen, doch zum Glück ging er nicht darauf ein, nahm ihre Bemerkung als das, was sie war: eine einfache Feststellung ohne tiefere Bedeutung. Er schob die Ärmel hoch, um die Wärme der Sonne zu spüren, die die Wolken bis auf ein paar vereinzelte Fetzen verjagt hatte. Regal rückte näher an ihn heran. Ein junges Paar ging an ihnen vorbei, vielleicht frisch Verliebte, dachte sie, die die warme Mittagssonne eines Frühlingstages genießen wollten, und sie wünschte sich so sehr, sie und Jorge wären auch nichts weiter als das – eine junge unverheiratete Frau und ein junger Mann, der hier in der Stadt geschäftlich zu tun hatte. Jorge übte eine seltsame Wirkung auf sie aus. In seiner Gegenwart fühlte sie sich so glücklich, so zuversichtlich. Und er hatte in ihr ein bisher unbekanntes Gefühl von Demut geweckt. Nicht etwa, daß er sie erniedrigte; sie war Gott nur so unendlich dankbar, daß sie sich getroffen und ineinander verliebt hatten. Sie würde Leonard schreiben und ihm davon erzählen, nahm sie sich vor. Leonard zu schreiben würde ihr helfen, diese Beziehung zu verstehen, und Leonard war der einzige Mensch, dem sie sich anvertrauen konnte. Sie hatte sich verliebt, würde sie Leonard schreiben. In einen Seemann, einen verwegenen Abenteurer, einen schönen Mann des Nordens, der für die feine Gesellschaft nichts als Verachtung empfand, der kein Interesse hatte an …
»Ist dir inzwischen eine Lösung eingefallen?«
Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil ihre Gedanken sich von der Frage entfernt hatten.
»Ich weiß es wirklich nicht, Jorge. Es scheint keinen Ausweg zu geben. Ich denke, es wird den Dänen nichts anderes übrigbleiben als zu tun, was die Briten verlangen.«
»Oh, aber einen anderen Weg gibt es doch noch. Was wäre, wenn wir lossegelten und britische Handelsschiffe überfielen? Sie so in Schach hielten auf der Nordsee, daß ihnen gar keine Zeit bliebe, auf die Erfüllung ihrer beleidigenden Forderungen an Dänemark zu dringen?«
Sie zog die Knie an und achtete sorgsam darauf, ihre Schuhe nicht auf seinen Mantel zu stellen, den er im Gras für sie ausgebreitet hatte. Die Idee faszinierte sie wie die Züge bei einem Schachspiel, und sie dachte ein Weilchen darüber nach. »Ein kriegerischer Akt?« fragte sie dann. »Nicht wenn die Schiffe scheinbar aus dem Nirgendwo kommen.«
»Unter welcher Flagge?«
Er sah zum Himmel auf und grinste. Ein breites, boshaftes Grinsen. »Na ja, sie könnten sich etwas einfallen lassen. Es käme auf die Umstände an.«
»Aber wäre das fair?«
»Ist es fair von den Briten, darauf zu bestehen, daß wir unsere Flotte ausliefern? Unseren einzigen Schutz? Unsere Verbindung zum Rest der Welt?«
»Nein«, gab sie zu, und dann erkannte auch sie das Komische an der Sache. »Was für ein harter Schlag es doch für sie wäre! Sie wüßten nicht einmal, gegen wen sie eigentlich kämpfen. Hat Königin Elisabeth nicht seinerzeit dasselbe mit den Spaniern gemacht? Ihre Freibeuter ausgeschickt, um sie anzugreifen, und gleichzeitig vorgegeben zu verhandeln? Die Dänen sollten es tun, Jorge. Ich finde, es wäre nur ausgleichende Gerechtigkeit.«
Jeder Zoll der kleinen Wohnung wuchs ihr ans Herz, während der Zeit, die sie dort ungestört mit Jorge verbrachte.
Früh morgens nahm er sie mit auf die Märkte.
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