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Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Samarkand Samarkand: Roman (German Edition)

Titel: Samarkand Samarkand: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Politycki
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vorausgesetzt, es würde bekannt?«
    Kaufner legte das Geld am Rand der Schreibtischplatte ab. Mit einem Ruck fuhr der Beamte aus dem Sessel, kam entschlossen um seinen Schreibtisch herum, das Geld vollkommen ignorierend, und trat sehr nah an Kaufner heran, der sich ebenfalls, zögernd, erhoben. Wortlos den Reisepaß zurückgebend, fixierte er ihn, gleichzeitig schnipste er ihm mit Zeige- und Mittelfinger der anderen Hand hart in den Schritt, er mußte darin eine gewisse Übung haben. Während sich Kaufner krümmte, ging der Beamte zur Tür, »Und grüßen Sie Ihre Verlobte«, um sie für ihn zu öffnen.
    Damit waren Kaufners Nachforschungen, Odina hin oder her, beendet. Nur Shochi zuliebe würde er an einem der nächsten Nachmittage ins Zigeuner-, seinetwegen auch ins Saliniaviertel gehen. So hatte sie’s ihm abgehandelt, als er beim Essen – im Winterhalbjahr fanden die Mahlzeiten aufgrund der Heizsituation gemeinsam im großen Haupt- und Prachtraum des ehemaligen Kaufmannshauses statt –, als er wieder einmal von Odina erzählt, vielmehr von den Vermutungen des Nachbarn über die Herkunft des Mannes, den man ihm irrtümlicherweise ins Haus geliefert.
    »Nimm mich mit. Ich geh’ auch immer drei Schritte hinter dir, wie’s sich gehört.«
    Sher lächelte zufrieden. Ja, so gehörte es sich für Frauen, obwohl die schöne Tradition in Samarkand leider etwas in Vergessenheit geraten war. Shers Familie kam aus den Bergen, nach wie vor wurden die Eltern dort von ihren Kindern gesiezt. Wie es sich gehörte.
    »Du bist noch keine erwachsne Frau, Shochida«, mahnte ihre Mutter ohne rechte Überzeugungskraft, »und außerdem gehörst du nicht auf die Straße. Schon gar nicht im Saliniaviertel.«
    Ausgerechnet dort wollte Shochi aber sozusagen fast zu Hause sein. Ihr Lieblingsviertel. Da habe man sie früher wenigstens mitspielen lassen, weil sie keiner kannte, weil keiner wußte, daß sie nachts –
    »Still, Shochida. Über deine Träume reden wir nicht.«
    Shochi war hinter Kaufner her in den Hof geeilt, hatte in ihrem Eifer nicht bemerkt, daß ihr die Mutter gefolgt war.
    »Aber ich werde bald fünfzehn«, rechtfertigte sie sich: »Da haben andere bereits einen Bräutigam.« Womit sie sich wieder an Kaufner wandte: »Mein Vater will nächstes Jahr einen für mich suchen, da werde ich ja volljährig.« Sie solle schon mal ein Taschentuch für ihn besticken. Dazu habe sie jedoch keine Lust, sie wolle keinen Bräutigam ausgesucht bekommen, sticken genausowenig.
    Sondern mit Kaufner in die Stadt, wie letztes Jahr. Ob er sie etwa nicht mehr möge? Jetzt hatte sie ihn.
    Inzwischen stritten sie sich fließend in ihrem deutsch-russisch-tadschikusbekischen Kauderwelsch. Wenn Shochi von der Schule heimkam, trug sie zur weißen Bluse nicht mehr den grünen Rock, sondern den schwarzen, sie gehörte fast zu den »Großen«. Noch immer hatte sie ihren Tick, wie es ihre Eltern nannten, nicht abgelegt; auch zum Zigeunerviertel wandelte sie neben Kaufner bis auf den Augenschlitz vermummt. Nur trug sie dazu inzwischen Pantoffeln mit winzigen Absätzen. Manchmal lachte sie, ein ganz normales Mädchen, seltener freilich als früher. Seit Kaufners Rückkehr hatte sie sich meist in ihrem Zimmer oder irgend sonst im Verborgenen aufgehalten, anscheinend fastete sie wieder einmal oder sprach mit den Engeln.
    Wohin er die nächsten Monate gehen und mit wem er sich dabei unterhalten würde, war Kaufner egal. Der Sommer saß ihm in den Sehnen, den Gelenken, am liebsten hätte er sich in sein Zimmer eingeschlossen und fürs nächste Frühjahr Kraft gesammelt. Aber das war unmöglich, wenn rundum alles dem offnen Ausbruch des Krieges entgegenfieberte. Erst recht, wenn Shochi dauernd vor seiner Tür stand, zu allem Überfluß hatte sie geträumt, wer als nächstes sterben würde.
    Hinein ins Zigeunerviertel kamen sie problemlos, es lag an der Abbruchkante zum Kanal, direkt hinterm Judenviertel, man roch es von weitem. Während vom Judenviertel nur der Name übriggeblieben war – die, die nicht freiwillig weggezogen waren, hatte man längst vertrieben –, war im Zigeunerviertel auf den ersten Blick zumindest schon mal der Abfall vorhanden. Sogar in den Stromleitungen hingen Plastiktüten, der Hang zum Kanal eine durchgehend bunte Müllkippe, darin eine Kuh, die nach Nahrung suchte. Das Wasser stand braun und träge, soweit man es vor Abfall überhaupt sah. Ging man tiefer ins Viertel hinein, stieß man in den Straßen auf grüppchenweise hockende

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