Samurai 6: Der Ring des Feuers (German Edition)
den er unter den Holzdielen in Soras Haus versteckt hatte, die einzige Verbindung zu seinem verstorbenen Vater. Als Steuermann hatte er Jack so manche Nacht gelehrt, nach ihnen zu navigieren. Doch in dieser Nacht fühlte Jack sich verloren und orientierungslos.
Während er noch zum nächtlichen Himmel hinaufstarrte, hörte er plötzlich jemanden näher kommen.
»Wenn es dunkel genug ist, sieht man die Sterne«, sagte Yori.
Jack lachte. Sensei Yamada hatte das immer gesagt und damit gemeint, dass es selbst in den schlimmsten Zeiten immer Hoffnung gab.
»Mein Vater sagte immer, ein klarer Himmel macht einen klaren Verstand. Aber mir ist trotzdem noch kein vernünftiger Plan eingefallen.«
»Lass dir Zeit – das wird sich schon ergeben.«
»Woher willst du das wissen? Ich verstehe doch überhaupt nichts von Strategie und Taktik.«
»Doch, natürlich«, widersprach Yori entschieden. Er klang so überzeugt, dass Jack ihn überrascht ansah. »Masamoto hat dir doch die Technik der beiden Himmel beigebracht.«
Jack überlegte ein wenig verwirrt. Yori meinte die von seinem Vormund entwickelte geheime Technik des Kampfes mit zwei Schwertern.
»Aber die gilt nur für den Zweikampf Mann gegen Mann«, erwiderte er.
»Warum sollte eine Technik, die gegen einen Gegner hilft, nicht auch gegen zehn, zwanzig oder tausend Gegner helfen?«
Jack dachte über Yoris Äußerung nach und dabei fiel ihm wieder etwas ein, das Masamoto in einer seiner letzten Unterrichtsstunden gesagt hatte. In Wirklichkeit geht es bei der Technik der beiden Himmel nicht nur um den Umgang mit zwei Schwertern. Das Wesentliche dabei ist der Wille zu siegen – egal mit welchen Mitteln und Waffen.
»Vielleicht hast du Recht«, gab er zu. Einige Gedanken von damals gingen ihm bereits durch den Kopf. »Aber ich bin kein Anführer.«
»Im Gegenteil. Du bist der geborene Anführer, Jack«, widersprach Yori. »Ein Anführer führt andere durch sein Beispiel, egal ob bewusst oder unbewusst. Du bist mit deinem Mut und deiner Entschlossenheit, dieses Dorf zu beschützen, unser Vorbild.«
Obwohl Yori nicht viel älter war als bei ihrer letzten Begegnung, kam es Jack doch so vor, als sei er in der Zwischenzeit viel weiser geworden. Er hatte geradezu das Gefühl, mit einem jüngeren Sensei Yamada zu sprechen.
»Aber wir haben die anderen gar nicht ernsthaft als Anführer in Betracht gezogen«, gab er zu bedenken. »Vielleicht wäre Hayato die bessere Wahl gewesen.«
Yori blickte zu Jack auf. »Das war auch nicht nötig. Die einstimmige Wahl hat gezeigt, dass wir alle an dich glauben. Du bist der Einzige, der uns anführen kann.«
19
Eingebung eines Ninja
»Was machst du hier?«, fragte Miyuki, als sie am folgenden Morgen zu Jack hinaufstieg, der auf einer Anhöhe oberhalb des Dorfes stand. »Die anderen warten schon auf dich.«
Sie reichte ihm eine Tasse Tee und Jack wärmte sich dankbar daran. Er war in der Nacht zuvor schließlich doch noch eingeschlafen, aber früh wieder aufgestanden, weil sein Kopf einfach nicht zur Ruhe kam.
»Ich versuche einen Plan zu entwickeln, wie wir das Dorf schützen können. Doch jede Strategie, die ich mir überlege, hat irgendwelche Mängel«, erklärte er. »Entweder sind wir nicht genügend Leute oder wir haben nicht genug Zeit oder der Plan ist einfach zu riskant.«
»Frag doch die anderen nach Vorschlägen.«
»Aber man erwartet von mir als Anführer, dass ich mir einen Plan ausdenke.« Jack klang verzweifelt.
»Das heißt noch lange nicht, dass du alles allein entscheiden musst«, sagte Miyuki tröstend. »Bei uns zu Hause fragt Shonin auch den Großmeister und die Familienoberhäupter um Rat.«
»Wirklich?« Jack spürte, wie die Last der Verantwortung ein wenig von seinen Schultern wich. Er hatte gefürchtet, die anderen könnten es für ein Zeichen der Schwäche halten, wenn er ihre Meinung einholte.
Miyuki nickte. »Der Großmeister sagt immer: ›Wer Menschen führen will, muss hinter ihnen gehen.‹«
Jack war mit solchen Weisheiten seit seiner Zeit an der Niten Ichi Ry ū vertraut und verstand sofort, was der alte Ninja damit meinte. Die Vorstellung, die anderen führen zu müssen, hatte ihn so beschäftigt, dass er darüber ganz vergessen hatte, wie wichtig es war, dass sie als Gruppe zusammenarbeiteten.
Unwillkürlich musste er an den Großmeister denken. »Wie geht es Soke?«, fragte er.
»Sein Wille ist stark, aber die Kälte zehrt an ihm.« Miyukis Blick verriet, dass sie sich große Sorgen
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