Sanctum
Zentrum, um das sich alles drehte. Das wenige Licht, das durch die Buntglasfenster fiel, schien ihn zu umspielen und gab ihm eine rätselhafte Aura von Kraft und Verzweiflung. Es war ein ergreifendes Bild, unwirklich und dennoch magisch. Würde ein Fotograf davon eine Aufnahme machen, würde sie zu einer modernen Ikone werden.
Faustitia öffnete die Tür und ging auf ihn zu. »Herr von Kastell, was ist geschehen?«, fragte sie, »was ist in Plitvice passiert und wo ist Justine?«
Eric schien sie nicht zu bemerken. Seine Augen hatten sich auf die Lichtflecken am Boden gerichtet. Er schluckte. »Darf ich Lena sehen?«
Der Schmerz in seiner Stimme ließ Faustitia kurz zusammenzucken. Damit hatte sie nicht gerechnet. Dies war eindeutig nicht der Zeitpunkt, ihn mit brennenden Fragen zu bombardieren. Sie würde nichts von ihm erfahren. Nicht bevor er seine Freundin gesehen hatte. »Es geht ihr gut«, beruhigte sie ihn und deutete nach rechts. »Kommen Sie hier entlang. Wir müssen allerdings längere Zeit mit dem Auto fahren. Ihre Waffen dürfen Sie dieses Mal behalten. Sehen Sie es als Zeichen meines Vertrauens.«
Eric nickte und folgte ihr. »Sie müssen eine Frau finden«, sagte er. »Sie heißt Severina und ist unschuldig in die Sache hineingeraten. Sie ist verletzt und irrt vermutlich unter Schock durch Rom.« Er reichte ihr die Zeichnung, die er von ihr angefertigt hatte; Faustitia versprach, nach ihr suchen zu lassen. »Machen Sie sich keine Gedanken. Die Augen und Ohren des Ordens sind überall in der Stadt, und wir haben Zugang zu allen wichtigen Datenbanken der Polizei und der Krankenhäuser. Wir werden sie finden.«
Eric spürte ein wenig Erleichterung.
Sie marschierten einen langen Sandsteingang entlang, bis sie eine Garage erreichten. Faustitia übergab die Zeichnung an eine junge Frau, die sich sofort auf den Weg machte. Dann setzten sich die Äbtissin zu Eric in den Van mit den verdunkelten Scheiben, eine Nonne übernahm die Aufgabe der Fahrerin.
Zunächst schwiegen sie beide.
Eric betrachtete die Reflexion seiner Augen im Glas und konnte den Anblick beinahe nicht ertragen. Er sah darin den Widerschein der Bestie, die ihm in den letzten Tagen überdeutlich gezeigt hatte, dass er sie nicht wirklich kontrollierte. Er mochte sich nicht ausmalen, welche Dinge er anrichten würde, wenn er weder Schlaftabletten noch die Gamma-Hydroxybuttersäure besaß. Im Glas sah er das Gesicht der Putzfrau aus der Raststätte in Plitvice, die er getötet und gefressen hatte.
Er schloss die Lider, ballte die Hände und kämpfte gegen die Bilder. Aber seine Vorstellungskraft zeigte ihm unbarmherzig zuerst das entsetzte Antlitz der verletzten Severina, danach seine sterbende Halbschwester. Es war mehr, als er ertragen konnte.
»Justine ist tot«, murmelte er. In allen Details berichtete er von den Ereignissen der vergangenen Tage. Von Emanuelas Verrat und Ermordung, von seiner Vermutung, dass der Orden mit wenigstens zwei Spitzeln einer anderen Organisation durchsetzt gewesen war. Er berichtete ihr vom Fund des Amuletts, seiner Begegnung mit dem Padre und dem Anschlag auf seine Villa. Doch bei aller Ausführlichkeit fasste er sich kurz, als es um Justine ging. Er wollte nicht darüber sprechen.
»Und nun bin ich hier«, beendete er seinen Bericht. »Meine einzige Spur ist Rotonda«, schloss er. »Können Sie mir mehr über ihn sagen?«
Faustitia war bleich geworden, sie hielt ihren Rosenkranz in der Hand. »Verzeihen Sie, Herr von Kastell, aber …« Ihre Stimme klang brüchig, Justines Tod traf sie offenbar sehr.
Der Van hatte sein Ziel erreicht, und die Tür wurde geöffnet. Faustitia stieg aus, ohne noch ein Wort mit ihm zu wechseln. Sie sah durcheinander aus. Eric folgte ihr, Stahlwände und Steinwände zogen an ihm vorbei, bis sie sich wieder vor der Schleuse befanden, durch die es zu Lena ging.
Er sah sie durch das Beobachtungsfenster; sie lag da und schlief. Ungeduldig wartete er, bis man ihn einließ, dann sank er neben ihrem Bett auf einen Stuhl und umschlang ihre linke Hand mit seinen Fingern.
»Ich bin die Jagd leid«, flüsterte er. »Und ich kann die Bestie in mir nicht mehr ertragen.« Er schaute auf ihr Gesicht. »Ich werde mir von den Nonnen das Gegenmittel verabreichen lassen, sobald wir den Welpen und seine Beschützer vernichtet haben. Danach sollen die anderen Wandelwesen tun, was sie wollen. Die Schwesternschaft wird sich um sie kümmern. Mich interessieren sie nicht mehr.« Er küsste ihren
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