Sanctum
Bathseba aus und verfiel in einen lockeren Trab, um sie einzuholen. Sie hatte den Weg nach Trastevere eingeschlagen, mitten in das Gebiet, in dem der Panter so oft gesehen worden war.
Jean ahnte, was die Rothaarige beabsichtigte. Er hatte sie als äußerst ehrgeizig kennen gelernt; sie hatte ihre Aufgaben bislang immer rascher als die übrigen Seraphim zu erledigen versucht, und ihr zielstrebiges Wandern nach Trastevere deutete darauf hin, dass sie hoffte, einen Blick auf den Panter werfen zu können.
Es ging tiefer in das Viertel, in dem die Häuserfronten wie Verschwörer nah aneinander rückten und die Gassen immer schmaler machten. Jean blickte nach oben und sah den sich verfinsternden Himmel beinahe nicht mehr. Es wäre für ein sprungstarkes Tier wie einen Panter eine leichte Übung, von einem Dach zum nächsten zu gelangen und dabei seine Beute stets im Auge zu behalten. Die unterschiedlich hohen Bauten und kleinen Vordächer boten die idealen Stufen, um rasch auf den Boden und von dort wieder hinauf gelangen zu können. Das Trastevere war das ideale Jagdgebiet für einen Panter. Und sie befanden sich mittendrin.
Auf einer Weggabelung, die eine Schneise in die Enge schlug, hatte sich ein verhältnismäßig kleiner Markt angesiedelt, auf dem jedoch unzählige Römer einkauften, redeten und lautstark verhandelten; Männer und Frauen lachten, woanders wurde geschimpft.
Jean sah Bathseba nicht, und während er sich umschaute und dabei von Stand zu Stand wanderte, bemerkte er einen kleinen Jungen, der bei seiner Tat weniger vorsichtig vorging als der Bursche, den Sarai verfolgt hatte.
Als ein gut gekleideter Mann eben seine Einkäufe bezahlen wollte, sprang der Knabe unvermittelt neben der Auslage hoch, entriss ihm den Beutel, rutschte unter die Bretter des nächsten Standes und kroch auf allen vieren davon.
Der Bestohlene machte sich mit einem wütenden Schrei an die Verfolgung, sprang über Kohlköpfe und Kartoffelsäcke hinweg, ohne dabei Rücksicht auf seinen verhältnismäßig teuren Rock oder seine Hose zu nehmen. Dabei stieß der Mann andere Leute, die ihm im Weg standen, mit Leichtigkeit aus dem Weg, die Getroffenen stürzten heftig. Es wurde laut in der Gasse.
Jean ließ den Bestohlenen nicht mehr aus den Augen und rannte hinterher. Es ging die Gasse hinab, er sah den Mann und den Jungen vor sich und holte immer weiter auf.
Der Junge schrie laut und warf die Börse nach hinten, um den Verfolger abzuschütteln. Doch genau das Gegenteil war der Fall. Der Mann fing sein Eigentum auf und hetzte den kleinen Dieb noch schneller.
Der Junge schwenkte abrupt nach rechts und sprang auf ein Fensterbrett, um sich von dort an der Mauer nach oben auf einen Balkon zu ziehen, da packte ihn der Mann mit einem bösen Lachen am Fuß und riss ihn herunter; der Dieb fiel rückwärts auf den Boden, heulte auf und hielt sich den Kopf.
Jean blieb stehen, drückte sich in einen Hauseingang und schluckte, die Rechte lag auf dem Rücken unter dem Gehrock am Knauf der Pistole.
Der Mann trat den Jungen mehrmals in den Bauch, beugte sich über ihn und schrie ihn an, während das Wimmern und Weinen lauter wurde; schließlich packte der Mann ihn bei den schwarzen Haaren und schleifte ihn hinter sich her. Der Junge schlug und trat um sich, bis er einen Fausthieb ins Gesicht bekam und leblos zusammensackte.
Der Mann spie auf ihn, zog einen Dolch und sagte lachend etwas von Umbringen. Jean zog seine Pistole und hielt sich bereit einzugreifen. Der Kleine hatte gewiss eine Tracht Prügel verdient, aber keinesfalls den Tod oder Misshandlungen durch einen brutalen Mann, dem es sichtlichen Spaß bereitete, Schwächere zu quälen.
Plötzlich sprang ein schwarzer, lang gestreckter Schatten vom Dach eines der niedrigeren Häuser geradewegs gegen den Mann und riss ihn zu Boden. Jean hörte ein lautes Fauchen, das dem einer Katze ähnelte, wenn auch viel, viel dunkler und gefährlicher; der Mann schrie vor Entsetzen auf – und verstummte gurgelnd.
Jean löste sich aus seinem Versteck und schwenkte die Pistole dahin, wo er den Schemen gesehen hatte. Doch der war verschwunden. Auf dem Boden aber lag der Mann mit zerrissener Kehle, aus der sein Blut sprudelte.
Jean trat heran und tastete nach der Halsschlagader des kleinen Diebes, der reglos neben dem toten Körper lag. Sie pulsierte, schwach zwar, aber verhieß Leben. Rasch wühlte er die Börse des Mannes hervor und schob sie dem Dieb unter das Hemd, dann hob er ihn auf und trug ihn
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