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Sanctum

Sanctum

Titel: Sanctum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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eine Gasse weit, bevor er ihn in einem Tordurchgang absetzte. Hier konnte er sich vom Schrecken erholen und in aller Ruhe zu sich kommen.
    Als er gleich darauf zur Stelle zurückkehrte, an der sich der Mord ereignet hatte – es mochten lediglich Minuten vergangen sein –, war der Leichnam verschwunden. Nur der große Blutfleck bewies, dass er sich nicht getäuscht hatte. Weitere rote Spritzer an den Wänden verrieten, dass der Schatten sein Opfer aufs Dach gezerrt hatte.
    Jean sah zu den Giebeln hinauf. In diesem Augenblick änderte er seine Einschätzung. Die Seraphim mussten zwei Meisterstücke bewältigen.

    2. November 1767, Italien, Rom
    Jean stand vor der Auslage eines Obsthändlers, neben ihm wartete Bathseba. Auf der anderen Straßenseite saß Sarai auf dem Rand eines Brunnens und las.
    Wenn seine Vermutung richtig war, dass das schwarze Wandelwesen es auf den Comte abgesehen hatte und es von seinen Absteigen und Spielhöllen wusste, tauchte es gewiss auch bei seinen Freunden auf. Zwei dieser Adressen hatte Jean vom Marquis bekommen, und so stellte er die Seraphim kurzerhand zum Beobachten der Häuser ab. Ihre Methode war nahezu perfekt, wenn man berücksichtigte, dass ihre Truppe aus sechs Personen bestand. Wenn einer der Männer das Haus verließ, hefteten sich die Seraphim an seine Fersen und hinterließen unterwegs ihre Markierungen an den Häuserwänden oder am Boden. Er selbst pendelte stets zwischen den Punkten hin und her, besprach sich mit den jungen Frauen und erfuhr auf diese Weise, was die Männer den Tag über unternommen hatten.
    Jean hoffte, dass sie seine Erzählung über die Geschehnisse in Trastevere ernst nahmen: Der Feind konnte auch von oben angreifen. Dass er diese Strategie hervorragend beherrschte, hatte er bewiesen.
    »Was gab es heute bei Monsieur Ruffo?«, fragte er Bathseba, die das Gewand einer einfachen Magd trug. Lentolo hatte ihnen eine ganze Sammlung verschiedener Kleider gebracht, um die Seraphim für jede Rolle ausstaffieren zu können – von der Adligen bis zur Bettlerin.
    »Er hat den ganzen Tag in seinem Haus verbracht. Zwei Damen und drei Herren besuchten ihn nacheinander, sie haben das Haus alle wieder verlassen«, antwortete Bathseba leise und strich eine Strähne ihres roten Haars zurück unter die weiße Haube. »Sarai hat sie jeweils über eine kleine Strecke verfolgt und nichts an ihnen bemerkt, was verdächtig erschien.«
    Jean nickte. »Sehr gut. Macht weiter, und bei Anbruch der Dämmerung lösen Judith und ich euch ab.« Er nahm sich drei Äpfel und bezahlte sie bei dem Mann hinter dem Stand, rieb einen über sein Revers und biss hinein. Es waren die letzten frischen Äpfel für dieses Jahr, und sie schmeckten paradiesisch. »Habt ihr etwas über den Mord in Trastevere gehört?«
    »Nein, niemand spricht darüber. Aber wir haben Erkundigungen über den Mann eingeholt, den Ihr sterben saht. Er war ein Zuhälter und galt als Tyrann, der gerne schlug und quälte. Niemand wird ihn vermissen.« Bathseba reckte den Hals und tat so, als habe sie etwas in der Auslage nebenan bemerkt, das interessanter für sie war, und ging davon.
    Jean warf einen raschen Blick zum Fenster im ersten Stock, wo sich der Freund des Comtes aufhielt, schob den Dreispitz in den Nacken, biss noch einmal in den Apfel und schlenderte die Gasse entlang. Was Bathseba erfahren hatte, passte zu dem Muster, das ihm aufgefallen war: Die Opfer des Panters schienen immer zu den Verbrechern der übelsten Sorte zu gehören. Entweder mundete ihm das Fleisch besonders gut oder aber … nein! Jean wollte sich nicht mit dem Gedanken auseinander setzen, dass das Wandelwesen absichtlich Gauner jagte – und warum es das tat.
    Bald darauf traf er Judith, die sich in eine Händlerin mit Bauchladen verwandelt hatte, billigen Schmuck verkaufte und den zweiten Mann im Auge behielt, Bernini; auch er hatte den Tag in den eigenen vier Wänden verbracht.
    »Ich frage mich, weswegen der Comte oder der Panter sich nicht blicken lassen«, meinte Judith enttäuscht und deutete auf ihre Schmuckstücke, als wollte sie Jean beraten. Sie trug ihre langen braunen Haare offen und wild zerzaust im Gesicht. »Habt Ihr in Erwägung gezogen, dass es sich dabei um ein und denselben handeln könnte?«
    »Nein, auf keinen Fall. Im Gevaudan wurde niemals ein Panter gesichtet, immer nur die Bestie mit ihrer wolfsähnlichen Gestalt«, erwiderte er. »Im besten Fall sind sie sich bereits irgendwo in Rom begegnet und haben sich

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