Sanft sollst du brennen
hören.«
»Ich fange wahrscheinlich am besten mit dem Anfang an. Du kennst doch diese modernen Büstenhalter mit Bügeln?«
9
Kate hatte ein selektives Gedächtnis. Ihre Mutter war so lange krank gewesen, dass Kate und ihre Schwestern endlose Stunden in zahlreichen Krankenhauswartezimmern verbracht hatten, und doch konnte Kate sich an kein einziges mehr erinnern.
Es war merkwürdig, dachte sie, dass sie sich nicht mehr an Einrichtung, Wandfarbe oder auch nur einen Teppich erinnern konnte. Aber wahrscheinlich sahen sich alle Warteräume sowieso ähnlich wie ein Ei dem anderen, kalt und steril, mit den immer gleichen Bildern von Bergen und Seen an der Wand.
Woran sie sich jedoch erinnerte, waren die Leute, die kamen und gingen, während sie dort saß, und sie erinnerte sich an Angst und Sorge, die schwer in der Luft hingen und sich auf jeden übertrugen, der den Raum betrat.
Zeit und Angst, eine schreckliche Kombination. Sie erinnerte sich an die Familien, die sich eng aneinanderdrückten, um beieinander Trost und Hoffnung zu finden. Sie erinnerte sich an den jungen Vater, der seinen beiden kleinen Mädchen, die sich an ihn schmiegten, Geschichten vorlas, während er darauf wartete zu erfahren, ob ihre Mutter leben oder sterben würde. Als der Chirurg ihm schließlich lächelnd die gute Nachricht überbrachte, war er schluchzend zusammengebrochen.
Und sie erinnerte sich an die alte Frau, die ganz alleine im Wartezimmer gesessen hatte, bis Kate und ihre Schwestern hereingekommen waren. Sie erzählte ihnen von der Bypassoperation ihres Mannes, mit dem sie seit vierzig Jahren verheiratet war, und davon, dass sie nicht wisse, ob er sie überleben würde. Sie erzählte eine Geschichte nach der anderen und redete immer schneller und schneller, bis sich Kate schließlich der Kopf drehte. Sie stellte sich vor, sie säße da mit riesigen Wattebäuschen in den Ohren. Es war kein netter Gedanke, aber dadurch konnte sie das endlose Geschnatter der Frau wenigstens ertragen.
Warten war immer schrecklich, und heute bildete keine Ausnahme. Jordan wurde erst um kurz nach zehn in den OP gebracht und war doch schon seit halb sieben bereit gewesen. Ein Notfall war dazwischengekommen. Kate hatte zumindest im Vorbereitungsraum bei ihr bleiben können. Anschließend führte eine Praktikantin, die unglaublich jung aussah, sie in den Warteraum.
Es waren eigentlich zwei Wartezimmer, durch ein kleines Büro miteinander verbunden, in dem eine Schwester saß. Das größere Zimmer war voll, und nachdem Kate sich bei der Frau am Schreibtisch angemeldet hatte, ging sie in den kleineren Warteraum.
Eine fünfköpfige Familie, alle mit rot geränderten Augen, ging gerade, als sie hereinkam. Sonst wartete niemand, und Kate war froh, alleine zu sein. Sie hatte keine Lust, sich mit Fremden zu unterhalten. Sie setzte sich in die Ecke am Fenster, griff nach einer Zeitschrift, legte sie aber sofort wieder weg. Sie fühlte sich viel zu nervös zum Lesen. Am liebsten hätte sie einfach nur geweint, aber das ging natürlich nicht.
Als sie nach einer anderen Zeitschrift griff, stellte sie fest, dass ihre Hände zitterten.
Jetzt reiß dich zusammen, schalt sie sich, Jordan wird wieder gesund. Der Knoten war bestimmt nicht bösartig, und alles würde wieder gut. Na ja, andererseits hatte der Chirurg besorgt reagiert. Jedenfalls hatte Jordan das behauptet, aber die neigte ja sowieso dazu, alles zu dramatisieren.
Der Arzt hatte sie wahrscheinlich nur auf das Schlimmste vorbereiten wollen, das war schließlich seine Aufgabe, nicht wahr? Gehörte das nicht zum Eid des Hippokrates dazu?
Andererseits war eine von Jordans Tanten mütterlicherseits an Brustkrebs gestorben, weil sie den Knoten in der Brust einfach ignoriert hatte. Und es gab auch eine Cousine auf der Seite ihrer Mutter mit dieser Diagnose. Aber die beiden waren schon weit über achtzig gewesen. Rein statistisch sah es für Jordan gut aus. Sie konnte mindestens noch fünfundsechzig Jahre lang gesund leben.
Aber der Knoten war jetzt gefunden worden.
Kate setzte sich und ließ den Kopf hängen. Sie fühlte sich plötzlich so müde, dass sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Frühe Entdeckung war doch wichtig, oder? Und in Jordans Familie gingen die Frauen regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung. Du darfst die Katastrophen nicht durch deine Gedanken anziehen, hatte Kates Mutter oft gesagt. Oh Gott, sie wollte nicht an ihre Mutter denken. Sie hatte wahrhaftig genug andere Probleme.
Warum
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