Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
mit kaputtem Bremslicht.
»Hier, bitte, Ms Hughes«, sagte er, als sie erneut das Fenster heruntergekurbelt hatte und er ihr den Bußgeldbescheid überreichte. »Sie können Widerspruch einlegen, dann wird höchstwahrscheinlich die Strafe gemildert. Inzwischen lassen Sie bitte schnellstens diese Bremsleuchten reparieren, und damit meine ich: gleich heute, wenn Sie schon mal in der Stadt sind. Sie gefährden den Straßenverkehr.«
»Ich werd’s versuchen«, entgegnete sie knapp und mit verkniffenen Lippen.
Sie war also sauer. Na und? »Das sollten Sie wirklich tun«, riet er ihr mit einem eingeübten humorlosen Lächeln. »Gute Fahrt, Madam.«
Sie bedachte ihn mit einem Blick, der schwächeren Männern wohl durch Mark und Bein gegangen wäre. Sheriff Carter jedoch scherte es nicht, was sie dachte. Er drehte sich um und kämpfte sich gegen den Wind zurück zu seinem Chevrolet Blazer. Beim Einsteigen sah er, wie Jenna »Hollywood« Hughes wieder auf die Fahrbahn steuerte, wobei sie den Blinker setzte, ganz darauf bedacht, die umsichtige, gesetzestreue Fahrerin zu mimen.
Sie wurden ja alle zu perfekten Autofahrern, sobald sie mal einen Strafzettel bekommen hatten. Seiner Schätzung nach würde ihre neu erworbene Bedachtsamkeit keine zehn Minuten anhalten.
Hey, sie hat keine Geschwindigkeitsbegrenzung übertreten. Ist nicht verkehrswidrig gefahren. Sie hatte nur das Pech, dass ihre Bremsleuchten nicht funktionierten. Sei nicht zu streng mit der Lady.
Und das würde Carter auch nicht – er würde nur ganz genauso streng mit ihr sein wie mit jedem anderen, nicht mehr und nicht weniger. Er setzte sich wieder ans Steuer, schaltete das Blinklicht aus und folgte ihr in die Stadt.
Er saß im Canyon Café, in einer Ecknische am Fenster, und warf einen raschen Blick über die Halbgardine. Durch die vereisten Scheiben sah er die Kirche, ein heruntergekommenes Gebäude, das schon bessere Tage und mehrere Restaurierungen erlebt hatte. Erst neulich war es zum Stadttheater umgestaltet worden – The Columbia Theater in the Gorge, ein verdammt hochtrabender Name.
Sein heißer Tee wurde gebracht, und er goss ihn in ein Glas voller Eis, hörte die Eiswürfel knacken und sah zu, wie sie schmolzen, während die bernsteinfarbene Flüssigkeit rasch abkühlte. An diesem Morgen waren nur wenige Gäste da. Ein paar alte Knaben redeten übers Wetter, Frikadellen und Speck brutzelten auf dem Grill in der Küche, Countrymusic lief kaum hörbar, und die Kellnerin huschte zwischen den Tischen, den Nischen und dem Tresen hin und her. Einige Stammgäste hatten sich hinter ihren Zeitungen vergraben oder waren in Gespräche vertieft. Er winkte dem einen und anderen zu, lächelte die Kellnerin an und behielt dabei verstohlen das Theater im Auge.
Er rührte in seinem Tee und spähte durch den Spalt in den unteren Gardinen, während er so tat, als läse er den Sportteil. Er gab sich Mühe, ruhig zu erscheinen, doch seine Nerven waren gespannt wie Klaviersaiten. Energiegeladen dank der Kältefront. Aufgewühlt von dem Plakat vor dem Theater, das die Weihnachtsaufführung ankündigte.
Ist das Leben nicht schön?
Von wegen.
Er erinnerte sich, den Film in Schwarzweiß gesehen zu haben. Ihn hatte geschaudert bei der Szene, als George Baileys Bruder im Eis einbrach, und er hatte sich nur allzu lebhaft vorstellen können, wie der Junge sich fühlte … Das kalte, kalte Wasser schlug über ihm zusammen, zog ihn hinab, ließ seine Lunge gefrieren, als er davon schluckte, die ganze Welt verschwamm, sein Herz hämmerte … Das schwarze Entsetzen, das ihn packte …
»Ist alles in Ordnung?«
Ruckartig hob er den Kopf und sah die Kellnerin an, ein Mädchen von etwa achtzehn Jahren, das eine Kaffeekanne in der einen und einen Krug mit Eiswasser in der anderen Hand hielt.
Sein Blick fiel auf die Eiswürfel, die im Wasser schwammen, und er brachte ein Lächeln zustande. »Ja … alles in Ordnung. Kann mich allerdings nicht unbedingt darüber freuen, dass die Trail Chevrolet Blazers schon wieder verloren haben.«
»Darüber freut sich wohl keiner. Abgesehen vom Wetter wird heute Morgen über nichts anderes geredet.« Sie schien beruhigt zu sein und lächelte breit, sodass ihre Zahnspange zu sehen war. »Noch etwas Wasser oder Tee?«
»Ich bin versorgt.« Zum Beweis hob er sein Glas und trank einen großen Schluck.
In der Gewissheit, den Gast zufrieden gestellt zu haben, eilte sie weiter zum nächsten Tisch.
Du Idiot! , schalt er sich im Stillen.
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