Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
erwähnt, dass er bei der CIA war.«
»Desto komischer.« Cassie holte sich einen Löffel und zog die Alufolie von ihrem Joghurtbecher.
»Vielleicht stimmt es gar nicht, Cassie«, sagte Jenna, doch insgeheim erkannte sie, wie wenig sie im Grunde über ihren überfürsorglichen Nachbarn wusste. Sie sah aus dem hinteren Fenster zum Pumpenhaus hinüber, aber Harrison war entweder hineingegangen oder hielt sich irgendwo anders auf dem Grundstück auf. Die Vorstellung hätte ihr eigentlich ein Gefühl der Sicherheit geben sollen, machte sie jedoch im Gegenteil eher nervös.
Um Himmels willen! Langsam wurde sie tatsächlich verrückt – das heißt, noch verrückter. Was wusste sie schon von ihm, überlegte sie, während sie Senf auf das Brot strich. Er hatte ihr erzählt, er sei verheiratet gewesen und schon seit einer ganzen Weile geschieden, aber sie wusste nicht, seit wann und warum. Als er es erwähnte – bei einem gemeinsamen Essen in Portland –, blieb er vage, als sei das Thema zu schmerzhaft. Oder ging es um seinen Stolz?
Auch Cassie blickte nachdenklich auf das Pumpenhaus und rührte ihren Joghurt um.
Vielleicht lag es an seiner Erziehung oder an seiner militärischen Ausbildung oder so, aber Harrison erschien ihr allzu höflich, beinahe so, als wollte er eine Frau auf einen Sockel heben, sie aber gleichzeitig unter seiner Knute haben.
»Okay, ich verstehe, was du meinst. Aber keine Sorge. Ja, ich bin ein paar Mal mit ihm essen gegangen und ich habe zugelassen, dass er hier Reparaturen vornimmt und öfter herkommt, aber ich bin nicht an ihm interessiert.«
»Du hältst ihn also hin?« Cassie löffelte ihren Joghurt.
»Nein … Ich wollte mir nur erst über meine Gefühle klar werden.« Jenna kramte im Kühlschrank und fand eine Packung Roastbeef in Scheiben.
»Und?«
»Ich empfinde nichts für ihn. Jedenfalls nichts, was romantischer Natur sein könnte.«
Cassie wirkte erleichtert. »Wirst du’s ihm sagen?« Noch ein Löffel Joghurt.
»Nicht heute«, erwiderte Jenna. »Aber bald.« Sie nahm eine Packung fettarme Milch aus dem Kühlschrank, schnupperte daran, um sich zu vergewissern, ob sie frisch war, und goss den Inhalt in einen Krug. »Also, Cassie, nachdem wir jetzt die Pros und Kontras meines Liebeslebens diskutiert haben, könnten wir doch mal über deines reden.«
Cassie stöhnte auf. »Hätte ich doch bloß nicht davon angefangen.«
»Im Gegenteil … Ich bin froh darüber.« Immerhin kam ihre Tochter damit auf sie zu, nahm von sich aus Kontakt auf.
»Jetzt nicht, okay?« Wieder warf Cassie einen Blick aus dem vereisten Fenster.
»Dann später.«
»Wie wär’s mit gar nicht?« Sie schabte den letzten Rest Joghurt aus dem Becher.
»Ausgeschlossen. So leicht kommst du mir nicht davon.«
»Ach, lass mich doch in Ruhe«, schnappte Cassie. Im nächsten Moment kam Allie polternd die Treppe herunter. Critter folgte ihr, indem er vorsichtig Stufe für Stufe nahm.
»Wir haben morgen keine Schule!«, verkündete Allie glücklich. Das Mädchen, das noch vor gar nicht langer Zeit hätte schwören mögen, es habe entsetzliche Halsschmerzen, schlug jetzt nahezu Purzelbäume auf dem Küchenboden.
»Woher weißt du das?«, fragte Cassie.
»Es wurde im Fernsehen gemeldet!« Allie führte sich auf wie ein Verurteilter, der erfahren hatte, dass die Todesstrafe aufgehoben wurde.
»Gilt das auch für die High School?«
»Für alle Schulen! Kann Dani bei uns schlafen?«, fragte sie. In diesem Augenblick begann das Licht zu flackern.
»Auch das noch«, knurrte Cassie und schaltete den kleinen Fernseher im Einbauregal neben der Speisekammer ein, das Gerät, das meistens während des Abendessens lief.
Jenna ging in die Speisekammer und suchte in einer Schublade nach einer Taschenlampe für den Fall, dass der Strom ausfiel. O Gott, was würde das bedeuten?
»Es wäre wohl keine gute Idee, Dani ausgerechnet heute bei uns übernachten zu lassen«, wehrte Jenna ab. Es tat ihr Leid, Allie enttäuschen zu müssen, nachdem es ihrer jüngeren Tochter endlich gelungen war, nach dem Umzug nach Oregon ein paar Freunde zu finden. Sie war schüchterner und zurückgezogener als in L. A. geworden. »Dani kann gern ein anderes Mal bei dir schlafen, aber heute wäre es nicht so gut. Bei diesem Wetter …«
»Aber wir könnten Schlitten fahren und einen Iglu bauen.«
»Bist du verrückt? Die Temperaturen gehen heute Nacht bis weit unter null runter«, bemerkte Cassie und blickte auf den kleinen Bildschirm,
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